Mir ist klar, dass es im Moment schwierig ist, Positives im Pflegealltag nach außen zu bringen. In den vergangenen Jahren treibt ein Pflegereförmchen das nächste vor sich her, Gesetzesänderungen werden zunächst installiert, nur um sie dann wieder aufgrund fehlendem Praxisbezug zu kassieren. Der „Run“ auf qualifizierte Pflegekräfte und der damit offenkundige Pflegenotstand lassen bei gleichzeitigem Ansteigen formaler Anforderungen durch die Kostenträger und dem Medizinischen Dienst Bund zum Teil resignierte Blicke bei den Pflegediensten zurück. Von der einrichtungsbezogenen Impflicht, die wie ein Schlag ins Gesicht der Pflege daher kommt, vermag ich gar nicht zu sprechen.
Aus den vielen Gesprächen mit den Mitgliedern und Pflegekräften habe ich immer mehr den Eindruck, dass die Pflege sehr pessimistisch in die Zukunft blickt. Ich erfahre auf die klassische Frage, wie es denn aktuell so läuft, regelmäßig einen negativen Kommentar, wie „im Moment haben wir Personalprobleme“, „die Corona-Pandemie hat uns geschadet“, „morgen kommt der MD zur Qualitätsprüfung“, „ich kämpfe mich so durch“ usw. Ich denke, dass Sie wissen, was ich meine. Und natürlich sehe auch ich die täglichen Herausforderungen, die nicht leicht zu bewältigen sind. Sie haben alle recht.
Was mich aber insgesamt daran persönlich stört, ist der reflexartige Automatismus, mit dem häufig eine Verbindung von Pflege mit etwas Negativen zu tage tritt. Ich bin überzeugt davon, dass es der bekannten Metapher „Glas halb leer vs. halb voll“ entspricht. Wenn unser Hauptaugenmerk und unser Glaubenssatz über den Pflegealltag immer auf etwas Negativen liegt, so findet unser Gehirn auch täglich Beweise, dass dies so ist. So ist es mit allen Glaubenssätzen, die wir haben. Ich möchte hier nicht allzu tief in die Psychologie einsteigen, jedoch ist diese selektive Wahrnehmung häufig Ursache dafür, dass die aktuellen Reaktionen und Rückmeldung vieler Pflegenden so sind.
Ich erinnere mich gern an eine Sitzung mit dem geschäftsführenden Vorstand zurück, in der es darum ging, nicht immer nur das in der Pflege zu sehen, was schlecht ist und nicht funktioniert, sondern vielmehr darauf zu achten, was gut läuft, was Spaß macht. Wenn man das nach außen kehrt, erscheint einem der Beruf genau als das, wofür Sie ihn auch angetreten haben: als eine professionelle Hilfeleistung für Menschen, die ihren Alltag nicht mehr alleine darstellen können. Denn wann immer ich in den oben genannten Gesprächen tiefer nachfrage, erscheint nach einiger Zeit auch immer ein Lächeln bei Ihren Kolleginnen und Kollegen. Die Freude, jemandem geholfen zu haben, das Anerkenntnis und der Dank, der einem entgegenkommt, das Vertrauen, dass Ihnen aufgrund der zum Teil sehr intimen und sensiblen Dienstleistung entgegengebracht wird. Ich denke, auch Sie haben genügend Beispiele parat, die Ihren Beruf auszeichnen. Sie müssen sich dies nur ständig bewusst machen.
Mein Appell soll Sie auch für das Thema „Tarif“ sensibilisieren. Wir haben uns als Verband auf einen Weg gemacht, der nicht nur für den ABVP und seine Mitglieder eine große Chance darstellt, sondern geeignet ist, für die gesamte Pflege in Deutschland einen Wandel herbeizuführen. Wir haben überraschend für alle Akteure eine sehr hohe Vergütung für die Pflegekräfte eingeführt und werden in den kommenden Wochen zum ersten Mal in der Geschichte der Pflege die Kostenträger mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot aus dem SGB XI und SGB V konfrontieren. In beiden Gesetzen ist klar geregelt, dass die Vergütung bis zur Höhe eines Tarifvertrages nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden kann. Wenn uns das gelingt, bin ich mir sicher, dass wir einen Meilenstein in der Pflege gesetzt haben. Und auch hier bitte ich Sie, den Fokus nicht darauf zu legen, was nicht klappt, sondern darauf, dass wir eine Chance nutzen und erstreiten müssen. Dieser Weg ist nicht leicht, aber wir gehen ihn.
Wenn die Pflegeeinrichtungen sich aber vermehrt für das „Durchschnittsniveau“ entscheiden, das entgegen dem ursprünglichen Vorhaben der Politik, Tarifniveau zu erreichen, im Gesetzgebungsverfahren nur nachgeschoben worden ist, dann wage ich die kühne Behauptung, dass die Pflege in der Zukunft von der Politik nicht mehr gehört wird, wenn es darum geht, dass die Bezahlung der Pflegekräfte so schlecht ist. Hier wird dann vielmehr der lapidare Hinweis kommen, dass man der Pflege die Möglichkeit an die Hand gegeben hat, Mehrwerte zu generieren, sie diese aber nicht angenommen hat.
Wenn die Pflege jetzt nicht mutig ist und den Weg sich nicht erstreitet, wird es in den nächsten Jahren nur zur Fortschreibung des bisherigen Systems kommen, mit dem niemand zufrieden sein kann. Es gilt hier der bekannte Motivationsspruch: