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Seit dem 2. Juli 2023 ist das Hin­weis­ge­ber­schutz­ge­setz nun­mehr in Kraft. Die Beschluss­emp­feh­lung des Ver­mitt­lungs­aus­schus­ses zu dem „Gesetz für einen bes­se­ren Schutz hin­weis­ge­ben­der Per­so­nen sowie zur Umset­zung der Richt­li­nie zum Schutz von Per­so­nen, die Ver­stöße gegen das Uni­ons­recht mel­den“ wurde vom Bun­des­tag am 11. Mai 2023 ange­nom­men. Dar­auf­hin hat der Bun­des­rat am 12. Mai zugestimmt.

Das Hin­weis­ge­ber­schutz­ge­setz ver­folgt das Ziel, Hin­weis­ge­ber auf Miss­stände und Geset­zes­ver­stöße in Unter­neh­men bes­ser zu schüt­zen. Dazu sol­len interne und/oder externe Mel­de­stel­len ein­ge­rich­tet wer­den. Repres­sa­lien gegen­über den Per­so­nen, die Hin­weise geben, sol­len ver­mie­den werden.

Auf Eng­lisch wer­den sol­che Hin­weis­ge­ber „Whist­le­b­lower“ genannt, wört­lich also Men­schen, die eine Tril­ler­pfeife benut­zen. In der der­zei­ti­gen Debatte trifft man oft auch auf den eng­li­schen Begriff, der wesent­lich span­nen­der klingt als das sper­rige Wort „Hin­weis­ge­ber“.

Einrichtung einer internen Meldestelle ab 50 Beschäftigten

Die Ein­rich­tung einer Mel­de­stelle bedeu­tet einen Auf­wand. Er betrifft alle Bran­chen. Not­wen­dig wird er erst ab einer Beschäf­tig­ten­zahl von 50 Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern. Dabei geht es um Köpfe, nicht um Voll­zeit­äqui­va­lente. Auch gering­fü­gig Beschäf­tigte zäh­len hier als jeweils ein Beschäf­tig­ter. Meh­rere Teil­zeit­kräfte dür­fen hier nicht in ihren Stel­len­an­tei­len auf­ad­diert wer­den, wie man es bei der Fest­stel­lung der Voll­zeit­äqui­va­lente tun würde.

Es gilt: Jeder Beschäf­tig­ter = ein Kopf

Ein­rich­tun­gen mit in der Regel 50 bis 249 Beschäf­tig­ten müs­sen ihre inter­nen Mel­de­stel­len bis zum 17. Dezem­ber 2023 einrichten.

Ein­rich­tun­gen mit in der Regel 250 oder mehr Beschäf­tig­ten muss­ten schon ab Inkraft­tre­ten des Geset­zes zum ihre Mel­de­ka­näle ein­rich­ten und betreiben.

Wenn Sie in der Regel weni­ger als 50 Mit­ar­bei­ter beschäf­ti­gen, kön­nen Sie sich also erst ein­mal ent­spannt zurück­leh­nen. Das Thema bleibt aber wei­ter­hin rele­vant. Ver­schie­dene Wün­sche zum stär­ke­ren Schutz der Hin­weis­ge­ber aus der Blick­rich­tung der Insti­tu­tio­nen, die die Arbeit­neh­mer­inter­es­sen im Fokus haben, wur­den mit die­sem Gesetz noch nicht umge­setzt und ste­hen wei­ter­hin auf der poli­ti­schen Agenda.

Ziele

Aus­gangs­punkt für das Gesetz ist die Vor­gabe der EU, die EU-Whist­le­b­lower-Richt­li­nie aus dem Jahr 2019 umzu­set­zen. Zu den Zie­len zählt die Bundesregierung:

  • „Gesetz­li­chen Recht­schutz für alle hin­weis­ge­ben­den Personen
  • Ver­trau­ens­schutz durch dis­krete Behand­lung der Iden­ti­tät und der Mel­dung hin­weis­ge­ben­der Personen
  • Ver­bot von unge­recht­fer­tig­ten Benach­tei­li­gun­gen wie Kün­di­gung, Abmah­nung, Ver­sa­gung einer Beför­de­rung oder Mobbing (…)
  • Ver­mei­dung von Haf­tungs­an­sprü­chen und Image­schä­den für Unter­neh­men und Behörden“

Hinweisgeber

Als hin­weis­ge­bende Per­so­nen sind fol­gende Beschäf­tigte nach § 3 Abs. 8 HinSchG gemeint:

  1. Arbeit­neh­me­rin­nen und Arbeitnehmer
  2. die zu ihrer Berufs­bil­dung Beschäftigten,
  3. Beam­tin­nen und Beamte,
  4. Rich­te­rin­nen und Rich­ter mit Aus­nahme der ehren­amt­li­chen Rich­te­rin­nen und Richter,
  5. Sol­da­tin­nen und Soldaten,
  6. Per­so­nen, die wegen ihrer wirt­schaft­li­chen Unselb­stän­dig­keit als arbeit­neh­mer­ähn­li­che Per­so­nen anzu­se­hen sind; zu die­sen gehö­ren auch die in Heim­ar­beit Beschäf­tig­ten und die ihnen Gleichgestellten,
  7. Men­schen mit Behin­de­rung, die in einer Werk­statt für behin­derte Men­schen oder bei einem ande­ren Leis­tungs­an­bie­ter nach § 60 des Neun­ten Buches Sozi­al­ge­setz­buch beschäf­tigt sind.

Kernpflicht: Einrichtung einer Meldestelle

Ein­rich­tun­gen müs­sen — in Abhän­gig­keit von der Menge an Per­so­nal — garan­tie­ren, dass bei ihnen min­des­tens eine Stelle für interne Mel­dun­gen ein­ge­rich­tet ist und betrie­ben wird, an die sich Beschäf­tigte wen­den kön­nen. Diese interne Mel­de­stelle regelt den Betrieb der Mel­de­ka­näle und prüft die Mel­dun­gen auf Stich­hal­tig­keit. Ggf. sorgt sie dann für das Ergrei­fen von Maß­nah­men – natür­lich unter Berück­sich­ti­gung von Daten­schutz und Vertraulichkeit.

Gem. § 14 Abs. 2 kön­nen meh­rere pri­vate Beschäf­ti­gungs­ge­ber eine gemein­same Stelle ein­rich­ten und betrei­ben. Die Pflicht, Maß­nah­men zu ergrei­fen, um den Ver­stoß abzu­stel­len, und die Pflicht zur Rück­mel­dung an die hin­weis­ge­bende Per­son ver­blei­ben aber bei dem ein­zel­nen Beschäftigungsgeber.

Unterschiedliche Wege für die internen Meldekanäle

Mel­dun­gen müs­sen in münd­li­cher oder in Text­form ermög­licht wer­den. Münd­li­che Mel­dun­gen müs­sen per Tele­fon oder mit­tels einer ande­ren Art der Sprach­über­mitt­lung mög­lich sein. Wenn der Hin­weis­ge­ber dies wünscht, ist ein per­sön­li­ches Tref­fen für die Ent­ge­gen­nahme der Mel­dung anzu­bie­ten. Eine Zusam­men­kunft per Bild- und Ton­über­tra­gung kann im Fall einer Ein­wil­li­gung der hin­weis­ge­ben­den Per­son erfolgen.

Aufgaben der internen Meldestelle gem. § 17 Abs. 1

Die interne Meldestelle:

  1. bestä­tigt der hin­weis­ge­ben­den Per­son den Ein­gang einer Mel­dung spä­tes­tens nach sie­ben Tagen,
  2. prüft, ob der gemel­dete Ver­stoß in den sach­li­chen Anwen­dungs­be­reich nach § 2 fällt,
  3. hält mit der hin­weis­ge­ben­den Per­son Kontakt,
  4. prüft die Stich­hal­tig­keit der ein­ge­gan­ge­nen Meldung,
  5. ersucht die hin­weis­ge­bende Per­son erfor­der­li­chen­falls um wei­tere Infor­ma­tio­nen und
  6. ergreift ange­mes­sene Fol­ge­maß­nah­men nach § 18.

Konsequenzen

Als Fol­ge­maß­nah­men kann die interne Mel­de­stelle gem. § 18 insbesondere

  1. interne Unter­su­chun­gen bei dem Beschäf­ti­gungs­ge­ber oder bei der jewei­li­gen Orga­ni­sa­ti­ons­ein­heit durch­füh­ren und betrof­fene Per­so­nen und Arbeits­ein­hei­ten kontaktieren,
  2. die hin­weis­ge­bende Per­son an andere zustän­dige Stel­len verweisen,
  3. das Ver­fah­ren aus Man­gel an Bewei­sen oder aus ande­ren Grün­den abschlie­ßen oder
  4. das Ver­fah­ren zwecks wei­te­rer Unter­su­chun­gen abge­ben an:
    a) eine bei dem Beschäf­ti­gungs­ge­ber oder bei der jewei­li­gen Organisationseinheit
    für interne Ermitt­lun­gen  zustän­dige Arbeits­ein­heit oder
    b) eine zustän­dige Behörde

Pra­xis­tipp: Wenn Sie Unter­stüt­zung für die Ein­rich­tung der inter­nen Mel­de­stelle benö­ti­gen, dann kon­tak­tie­ren Sie uns bitte. Wir hel­fen Ihnen gern bei der Suche nach einem pas­sen­den Anbieter.

Weigerung des Arbeitsgebers, eine interne Meldestelle einzurichten

Das Gesetz sieht Buß­gel­der gegen den Arbeit­ge­ber vor, wenn er kei­nen Mel­de­ka­nal ein­rich­tet. Eine Höhe von bis zu 50.000 Euro ist mög­lich. Arbeit­neh­mer haben auch immer die Mög­lich­keit, sich an die externe Mel­de­stelle zu wen­den. Eine externe Mel­de­stelle wird durch den Bund, die Län­der oder – für die Pflege nicht rele­vant — die Bun­des­an­stalt für Finanz­dienst­leis­tungs­auf­sicht oder das Bun­des­kar­tell­amt eingerichtet.

Beteiligung des Betriebsrats

Falls es in Ihrem Unter­neh­men einen Betriebs­rat gibt, unter­liegt des­sen Aus­ge­stal­tung der Mit­be­stim­mungs­pflicht nach § 81 Abs 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz.

Ausblick

Für das Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren wurde es nötig, den Ver­mitt­lungs­aus­schuss anzu­ru­fen, da der Bun­des­rat zunächst seine Zustim­mung ver­wei­gert hatte. Dadurch konn­ten Ver­bes­se­run­gen für den büro­kra­ti­schen und finan­zi­el­len Auf­wand für die Unter­neh­men erreicht wer­den. Man einigte sich auf die Kon­kre­ti­sie­rung, dass Ver­stöße im beruf­li­chen Kon­text erfol­gen müs­sen (§ 3 Abs. 3 HinSchG). Die ver­pflich­tende Anony­mi­tät der Mel­de­ka­näle wurde nicht umge­setzt. Den inter­nen Mel­de­stel­len wurde der Vor­rang ein­ge­räumt, wenn der Hin­weis­ge­ber keine Repres­sa­lien befürch­ten muss. Die Buß­geld­höhe wurde auf max. 50.000,00 € reduziert.
Der Umstand, dass der Ver­mitt­lungs­aus­schuss ange­ru­fen wer­den musste, zeigt aber auch, dass sich die ver­schie­de­nen Par­la­men­ta­rier nicht abschlie­ßend einig über die­ses Thema sind. Eine Aus­deh­nung der Ver­pflich­tung zur Errich­tung einer inter­nen Mel­de­stelle auch auf klei­nere Betriebe ist mit­tel- und lang­fris­tig nicht aus­zu­schlie­ßen. Es bleibt abzu­war­ten, wel­che Erfolge mit der nun in Kraft getre­te­nen Lösung erzielt wer­den können.


Mit­ar­bei­ter die sich arbeits­un­fä­hig mel­den und dann län­ger aus­fal­len, bekom­men in der Regel gemäß § 3 Abs.1 Satz 1 Ent­gelt­fort­zah­lungs­ge­setz (EFZG) sechs Wochen lang ihr Gehalt wei­ter und bezie­hen nach Ablauf der Ent­gelt­fort­zah­lung anschlie­ßend Kran­ken­geld. Hier­von kann es Aus­nah­men geben, wenn meh­rere Erkran­kun­gen vor­lie­gen. Dazu gab es ein aktu­el­les Urteil des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) vom 18. Januar 2023 (Az: 5 AZR 93/22).

Die sechs Wochen Ent­gelt­fort­zah­lung gel­ten in der Regel für eine bestimmte Erkran­kung. Tritt eine erneute Arbeits­un­fä­hig­keit infolge der­sel­ben Krank­heit auf, gibt es erst ein­mal keine wei­tere Ent­gelt­fort­zah­lung mehr. Eine Aus­nahme gilt, wenn der Arbeit­neh­mer vor der erneu­ten Arbeits­un­fä­hig­keit min­des­tens sechs Monate nicht infolge der­sel­ben Krank­heit arbeits­un­fä­hig war, § 3 Abs.1 Satz 2 Nr.1 EZFG.

In die­sem Fall liegt die Beweis­last dafür, dass eine Arbeits­un­fä­hig­keit durch die­selbe Krank­heit bedingt ist, die schon ein­mal wäh­rend der letz­ten sechs (oder zwölf) Monate zu einer Arbeits­un­fä­hig­keit geführt hat, nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) beim Arbeitgeber.

Der Arbeit­ge­ber kennt aber zunächst nur die ärzt­li­chen Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gun­gen, die keine Anga­ben zu den Krank­hei­ten bzw. Krank­heits­ur­sa­chen ent­hal­ten. Um über­prü­fen zu kön­nen, ob hin­ter einer (erneu­ten) Arbeits­un­fä­hig­keit mög­li­cher­weise die­selbe Krank­heit wie vor eini­gen Mona­ten bzw. das­selbe Grund­lei­den steht, braucht er daher Infor­ma­tio­nen durch den Arbeitnehmer.

Das BAG hat jüngst klar­ge­stellt, dass Arbeit­neh­mer gehal­ten sind, den Arbeit­ge­ber sehr weit­ge­hend zu infor­mie­ren. Im Aus­gangs­fall war der Klä­ger in den Jah­ren 2019 und 2020 in erheb­li­chem Umfang krank — zwi­schen dem 24. August 2019 und dem 13. August 2020 an ins­ge­samt 110 Tagen.

Zwi­schen dem 18. August und 23. Sep­tem­ber 2020 erkrankte der Arbeit­neh­mer mehr­fach erneut für ein bis drei Tage. Hier­für leis­tete der Arbeit­ge­ber aller­dings keine Lohn­fort­zah­lung mehr, da er der Auf­fas­sung war, dass es sich hier um Fort­set­zungs­er­kran­kun­gen han­deln müsse, für die der Lohn­fort­zah­lungs­zeit­raum über­schrit­ten sei.

Der Arbeit­neh­mer behaup­tete gegen­über dem Arbeit­ge­ber, Grund für seine Fehl­tage zwi­schen dem 18. August und 23. Sep­tem­ber 2020 seien ver­schie­dene neue Erkran­kun­gen gewe­sen. Mit sei­ner Klage ver­langte er Lohn­fort­zah­lung für ins­ge­samt 10 Tage. Zum Nach­weis legte er die Dia­gnose-Codes (ICD 10) der neuen Erkran­kun­gen vor und benannte die frü­he­ren Krank­heits­tage, die nach sei­ner eige­nen Ein­schät­zung auf die­sel­ben Erkran­kun­gen zurück­ge­hen. Andere frü­here Erkran­kun­gen müsse er nicht offenlegen.

Dem Arbeit­ge­ber genügte dies nicht und er ver­wei­gerte auch nach die­sen Aus­künf­ten die Lohnfortzahlung.
Das BAG gab dem Arbeits­ge­ber recht.

Beschäftige müssen verschiedene Erkrankungen nachweisen

Sind Mit­ar­bei­ter wegen meh­re­ren Erkran­kun­gen ins­ge­samt län­ger als sechs Wochen krank und wol­len diese des­halb auch eine län­gere Ent­gelt­fort­zah­lung in Anspruch neh­men, müs­sen sie aller­dings nach­wei­sen, dass es sich tat­säch­lich um ver­schie­dene Erkran­kun­gen han­delte. Der Mit­ar­bei­ter sei im Aus­gangs­fall sei­ner abge­stuf­ten Dar­le­gungs­last nicht nachgekommen.

Zunächst muss der Mit­ar­bei­ter unter Vor­lage ärzt­li­cher Beschei­ni­gun­gen vor­tra­gen, dass keine Fort­set­zungs­er­kran­kung besteht. Hält der Arbeit­ge­ber trotz­dem am Vor­lie­gen einer Fort­set­zungs­er­kran­kung fest, hat der Mit­ar­bei­ter nun­mehr kon­krete Tat­sa­chen vor­zu­tra­gen, die eine Fort­set­zungs­er­kran­kung ausschließen.

Er muss, so das BAG, unter Bezug­nahme auf den gesam­ten Sechs- bzw. Zwölf­mo­nats­zeit­raum seine gesund­heit­li­chen Beein­träch­ti­gun­gen und Beschwer­den schil­dern und dar­le­gen, wel­che Fol­gen sie auf die Arbeits­fä­hig­keit hat­ten, und seine Ärzte von der Schwei­ge­pflicht ent­bin­den. Denn andern­falls kann der Arbeit­ge­ber sich zu dem Sach­ver­halt nicht kon­kret äußern.

Eine so weit­ge­hende, auf die Krank­heits­ur­sa­chen bezo­gene Vor­trags­pflicht des Mit­ar­bei­ters stellt zwar einen Ein­griff in das Grund­recht des Mit­ar­bei­ters auf infor­ma­tio­nelle Selbst­be­stim­mung dar, dass durch Art.2 Abs.1 in Ver­bin­dung mit Art.1 Abs.1 Grund­ge­setz (GG) geschützt ist, sowie einen Ein­griff in sein Recht zum Schutz sei­ner Gesund­heits­da­ten gemäß Art.9 Abs.1 Daten­schutz­ver­ord­nung (DS-GVO) dar, doch sind diese Ein­griffe durch über­wie­gende recht­li­che Gesichts­punkte gerecht­fer­tigt. Denn letzt­end­lich kann nur so geklärt wer­den, ob ein wei­te­rer Anspruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung besteht.


In der Pflege sind frei­heits­ent­zie­hende Maß­nah­men (FEM) oft von Pfle­ge­kräf­ten und Ange­hö­ri­gen „gut gemeint“ um die Kli­en­ten vor Gesund­heits­ge­fah­ren zu schüt­zen. Jedoch kön­nen auch durch­führte Maß­nah­men der Frei­heits­ent­zie­hung erheb­lich nega­tive Gesund­heits­fol­gen für den Betrof­fe­nen haben. Dar­über hin­aus kann eine Ein­schrän­kung der Bewe­gungs­frei­heit auch recht­li­che Kon­se­quen­zen haben. Jeder Mensch hat nach Arti­kel 2 Abs. 2 GG das Recht sei­nen Auf­ent­halts­ort frei zu ändern, daher dür­fen Maß­nah­men, die die­ses Recht beein­träch­ti­gen, nur sehr ein­ge­schränkt vor­ge­nom­men wer­den. Es bedarf daher einer genauen Abwä­gung und einer Sen­si­bi­li­sie­rung, was alles eine frei­heits­ent­zie­hende Maß­nahme sein kann und was es für Alter­na­ti­ven hierzu geben kann.

I.
Defintion

Frei­heits­ent­zie­hende Maß­nah­men sind jeg­li­che Hand­lun­gen oder Maß­nah­men, durch wel­che ein Mensch gegen sei­nen Wil­len daran gehin­dert wird, sei­nen Auf­ent­halts­ort zu ändern.

II.
Freiheitsberaubung im Strafrecht

Auf straf­recht­li­cher Ebene ist vor allen der §239 StGB relevant.

§ 239 StGB Freiheitsberaubung

(1) Wer einen Men­schen ein­sperrt oder auf andere Weise der Frei­heit beraubt, wird mit Frei­heits­strafe bis zu fünf Jah­ren oder mit Geld­strafe bestraft.

(2) Der Ver­such ist strafbar.

(3) Auf Frei­heits­strafe von einem Jahr bis zu zehn Jah­ren ist zu erken­nen, wenn der Täter

1. das Opfer län­ger als eine Woche der Frei­heit beraubt oder

2. durch die Tat oder eine wäh­rend der Tat began­gene Hand­lung eine schwere Gesund­heits­schä­di­gung des Opfers verursacht.

(4) Ver­ur­sacht der Täter durch die Tat oder eine wäh­rend der Tat began­gene Hand­lung den Tod des Opfers, so ist die Strafe Frei­heits­strafe nicht unter drei Jahren.

(5) In min­der schwe­ren Fäl­len des Absat­zes 3 ist auf Frei­heits­strafe von sechs Mona­ten bis zu fünf Jah­ren, in min­der schwe­ren Fäl­len des Absat­zes 4 auf Frei­heits­strafe von einem Jahr bis zu zehn Jah­ren zu erkennen.

Damit eine Hand­lung oder ein Unter­las­sen nach § 239 Abs. 1 StGB straf­bar ist, muss sowohl der objek­tive und sub­jek­tive Tat­be­stand der Norm erfüllt sein, zudem darf es keine Recht­fer­ti­gungs­gründe geben und der Täter muss schuld­haft gehan­delt haben.

 1. Tatbestand der Freiheitsberaubung

FEM kön­nen durch Ein­sper­ren oder durch Berau­ben der Frei­heit auf andere Weise geschehen.

Einsperren

Ein­sper­ren liegt dann vor, wenn der Täter durch äußere Vor­rich­tun­gen das Opfer daran hin­dert, den Raum zu ver­las­sen. Es reicht dabei aus, wenn die Benut­zung der Flucht­wege unge­wöhn­lich, anstö­ßig, gefähr­lich oder beschwer­lich ist.

Das Berauben der Freiheit

Das Berau­ben der Frei­heit auf andere Weise kann durch jedes Tun oder Unter­las­sen bewirkt wer­den, durch wel­ches die Fort­be­we­gungs­frei­heit des Opfers voll­stän­dig auf­ge­ho­ben wird. Im Gegen­satz zum Ein­sper­ren reicht hier die bloße Erschwe­rung nicht, es sei denn, das Über­win­den der Hemm­nisse ist im Ein­zel­fall unzu­mut­bar gefährlich.

Die Frei­heits­be­rau­bung muss sich auf einen gewis­sen Zeit­raum erstre­cken, nur ganz kurze Hand­lun­gen rei­chen hier­für nicht aus. Als erheb­lich wird hier­bei in der Recht­spre­chung ein Zeit­raum vom min­des­tens ca. 45 Sekun­den angesehen.

Geschütz­tes Rechts­gut ist die Frei­heit der Wil­lens­ent­schlie­ßung und Wil­lens­be­tä­ti­gung in Bezug auf die Frei­heit der Per­son zur Ver­än­de­rung des Auf­ent­halts­or­tes. Nicht geschützt ist hin­ge­gen die Frei­heit, einen bestimm­ten Ort aufzusuchen.

Möglichkeit der willentlichen Fortbewegung 

Der Frei­heit beraubt wer­den kann nur der­je­nige, der über­haupt in der Lage ist, wil­lent­lich den Auf­ent­halts­ort zu ändern.

  • Keine Frei­heits­be­rau­bung also bei Kleinst­kin­dern unter einem Jahr, Wach­ko­ma­pa­ti­en­ten, bewe­gungs­un­fä­hi­gen Per­so­nen oder Per­so­nen, bei denen keine wil­lent­li­chen Bewe­gun­gen mög­lich sind (z. B. Anfalls­lei­den), da sie ihre Orts­ver­än­de­rung nicht selbst­stän­dig her­bei­füh­ren können.

Der poten­ti­elle Wille einer Per­son zur Auf­ent­halts­än­de­rung reicht. Es genügt daher, wenn der Betrof­fene sagen könnte „Ich will mich gar nicht fort­be­we­gen. Sollte ich es aber wol­len, könnte ich es nicht“.

  • Daher kön­nen auch Schla­fende und Bewusst­lose an Ihrer Frei­heit beraubt werden.
Beispiele für freiheitsentziehende Maßnahmen 
  • Ein­sper­ren, Ver­sper­ren von Türen, Ein­schlie­ßen, auch durch kom­pli­zierte Schließ­me­cha­nis­men und Trickschlösser
  • mecha­ni­sches Fixie­ren mit­tels Bett­git­tern, Bauch­gur­ten, Hand- und Fuß­fes­seln oder Fest­stel­len der Brem­sen eines Rollstuhles
  • Weg­nahme von Hilfs­mit­teln wie Brille, Roll­stuhl, Gehil­fen Schu­hen oder sons­ti­ger Klei­dung ohne die der Betrof­fene sei­nen Stand­ort nicht wech­seln kann
  • Medi­ka­mente, sofern diese zum Zweck der Sedie­rung ver­ab­reicht wer­den. Dies unter­fällt dann der Frei­heits­be­rau­bung, wenn die Medi­ka­mente gerade zum Zweck der beru­hi­gen­den, bewe­gungs­re­du­zie­ren­den Wir­kung ver­ab­reicht wer­den um eine Per­son an der Fort­be­we­gung zu hin­dern oder um durch die Sedie­rung die Pflege zu erleichtern.
    (+)          Etwa durch die Gabe von Neu­ro­lep­tika, Anti­de­pres­siva und ande­ren Psy­cho­phar­maka, wenn hier­durch der Bewe­gungs­drang (Weg­lauf­ten­denz) ver­hin­dert wer­den soll.
    (-)           Nicht bei sedie­ren­den Medi­ka­men­ten, wenn es sich um Psy­cho­phar­maka han­delt, wel­che es aus the­ra­peu­ti­schen Zwe­cken ver­ab­reicht werde und nur als Neben­wir­kung der Bewe­gungs­drang ein­ge­schränkt wird.
Freiheitsberaubung durch Unterlassen

Es ist auch mög­lich, die Frei­heits­be­rau­bung durch ein Unter­las­sen einer Hand­lung zu bege­hen (gemäß § 13 StGB). Dies bei­spiels­weise dann, wenn eine Pfle­ge­kraft einen Kli­en­ten ver­se­hent­lich ein­sperrt (nicht straf­bar, wenn nach­weis­lich kein Vor­satz), ihr danach der Feh­ler auf­fällt, sie es dann aber unter­lässt die Frei­heits­be­rau­bung zu besei­ti­gen. Der Vor­wurf, wel­cher der Pfle­ge­kraft hier gemacht wird ist, dass sie es unter­las­sen hat, ihren Feh­ler zu beheben.

Tatbestandsausschließendes Einverständnis

Ein Berau­ben der Frei­heit kann nur dann vor­lie­gen, wenn dies gegen den Wil­len des Betrof­fe­nen geschieht. Ist die betrof­fene Per­son daher ein­wil­li­gungs­fä­hig und erteilt ihre Ein­wil­li­gung (dies immer schrift­lich geben las­sen!), dann kann keine Frei­heits­be­rau­bung vor­lie­gen. Geklärt wer­den muss daher, ob der Betrof­fene ein­wil­li­gungs­fä­hig ist, nur dann kann er seine Ein­wil­li­gung erteilen.

Ein­wil­li­gungs­fä­hig­keit ist dann gege­ben, wenn der Betrof­fene den Sinn und Zweck der Maß­nahme ver­ste­hen und sei­nen Wil­len hier­nach aus­rich­ten kann. Dazu gehört die Fähig­keit, einen bestimm­ten Sach­ver­halt zu ver­ste­hen (Ver­ständ­nis), die Fähig­keit, bestimmte Infor­ma­tio­nen, auch bezüg­lich der Fol­gen und Risi­ken, in ange­mes­se­ner Weise zu ver­ar­bei­ten (Ver­ar­bei­tung) und die Fähig­keit, die Infor­ma­tio­nen, auch im Hin­blick auf Behand­lungs­al­ter­na­ti­ven, ange­mes­sen zu bewer­ten (Bewer­tung).

Auf Grund­lage von Ver­ständ­nis, Ver­ar­bei­tung und Bewer­tung der Situa­tion muss sodann die Fähig­keit gege­ben sein, den eige­nen Wil­len zu bestim­men (Bestimm­bar­keit des Wil­lens). Die gege­bene Ein­wil­li­gung bezieht sich dabei immer auf die kon­krete Situa­tion und kann jeder­zeit wider­ru­fen wer­den. Ver­liert der Kli­ent z.B. infolge einer demen­ti­el­len Ver­än­de­rung die natür­li­che Ein­sichts­fä­hig­keit, ist auch seine vor­her gege­bene Ein­wil­li­gung nicht mehr wirk­sam. Ver­wei­gert der ein­wil­li­gungs­fä­hige Pati­ent seine Ein­wil­li­gung, darf die FEM nicht durch­ge­führt werden.

Auch bei erteil­ter Ein­wil­li­gung sollte mit FEM restrik­tiv umge­gan­gen wer­den. Nur weil eine Hand­lung erlaubt ist bedeu­tet dies nicht, dass diese auch sinn­voll ist. Häu­fig sind sich die­je­ni­gen, die der FEM zustim­men der Gefah­ren nicht bewusst, die von der ange­dach­ten Maß­nahme ausgehen.

Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes nach § 1831 BGB bei Einwilligungsunfähigkeit

Ist der Betrof­fene nicht ein­wil­li­gungs­fä­hig, so bedarf es gege­be­nen­falls der Geneh­mi­gung der frei­heits­ent­zie­hen­den Maß­nahme durch das Betreu­ungs­ge­richt gemäß § 1831 BGB (bis 31.12.2022 wurde dies in § 1906 BGB gere­gelt, seit 01.01.2023 fin­den sich die ent­spre­chen­den Rege­lun­gen in § 1831 BGB). Eine Geneh­mi­gung des Betreu­ungs­ge­richts ist nach § 1831 BGB not­wen­dig, sofern sich der Betreute in einem Kran­ken­haus, einem Heim oder einer sons­ti­gen Ein­rich­tung auf­hält. Die Häus­lich­keit des Betrof­fe­nen fällt „eigent­lich“ nicht unter die auf­ge­zähl­ten Ört­lich­kei­ten. Daher ist nach dem Geset­zes­wort­laut in der ambu­lan­ten Pflege keine aus­drück­li­che Geneh­mi­gung des Betreu­ungs­ge­rich­tes nötig. Aber lei­der ist die Recht­spre­chung hier unein­heit­lich, man­che Gerichte sehen frei­heits­ent­zie­hende Maß­nah­men in der eige­nen Woh­nung den­noch als geneh­mi­gungs­pflich­tig an, wenn die Pflege in der Häus­lich­keit durch einen ambu­lan­ten Pfle­ge­dienst durch­ge­führt wird. Daher sollte im Zwei­fels­fall sicher­heits­hal­ber auch in der ambu­lan­ten Pflege ein Beschluss des Gerichts ein­ge­holt werden.

Frei­heits­ent­zie­hende Maß­nah­men zu Hause durch Ange­hö­rige unter­lie­gen hin­ge­gen kei­ner gericht­li­chen Geneh­mi­gung. Auch hier müs­sen die Maß­nah­men aber immer zum Schutz des Betrof­fe­nen not­wen­dig und ver­hält­nis­mä­ßig sein, da sonst eine Straf­bar­keit nach § 239 StGB vor­lie­gen kann.

Subjektiver Tatbestand-Vorsatz

Um den Tat­be­stand der Frei­heits­be­rau­bung zu erfül­len, muss auf der sub­jek­ti­ven Seite vor­sätz­lich gehan­delt wor­den sein. Dies ist dann der Fall, wenn der Täter mit Wis­sen und Wol­len der Tatbe- stands­ver­wirk­li­chung gehan­delt hat. Es ist dabei aus­rei­chend, wenn beding­ter Vor­satz (dolus even­tua­lis) vor­liegt, der Täter den Ein­tritt der Frei­heits­ent­zie­hung für mög­lich hält und diese bil­li­gend in Kauf nimmt, auch wenn er sie nicht unbe­dingt her­bei­füh­ren will.

2. Rechtswidrigkeit und Schuld

Als Recht­fer­ti­gungs­grund kommt ins­be­son­dere der recht­fer­ti­gende Not­stand nach § 34 StGB in Betracht. Hier­nach gilt:

„Wer in einer gegen­wär­ti­gen, nicht anders abwend­ba­ren Gefahr für Leben, Leib, Frei­heit, Ehre, Eigen­tum oder ein ande­res Rechts­gut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem ande­ren abzu­wen­den, han­delt nicht rechts­wid­rig, wenn bei Abwä­gung der wider­strei­ten­den Inter­es­sen, nament­lich der betrof­fe­nen Rechts­gü­ter und des Gra­des der ihnen dro­hen­den Gefah­ren, das geschützte Inter­esse das beein­träch­tigte wesent­lich über­wiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein ange­mes­se­nes Mit­tel ist, die Gefahr abzuwenden.“

 

Betrach­tet wer­den müs­sen also immer die Umstände des Ein­zel­falls, danach ob

  • die Gefahr nicht anders abge­wen­det wer­den kann,
  • dass zu schüt­zende Rechts­gut höher zu bewer­ten ist als da zu ver­let­zende und
  • die Tat ange­mes­sen ist um die Gefahr für das zu schüt­zende Rechts­gut abzuwenden.

Eine Frei­heits­ent­zie­hung kann dem­nach ins­be­son­dere dann gerecht­fer­tigt sein, wenn diese nur ein­ma­lig und vor­über­ge­hend in einer Not­si­tua­tion erfolgt, z. B. bei einem aku­ten Fie­ber­an­fall oder zur Abwen­dung eines Suizides.

III.
Prüfung von möglichen Alternativen

Neben den ggf. recht­li­chen Kon­se­quen­zen einer FEM hat diese oft auch nega­tive tat­säch­li­che Fol­gen für den Betrof­fe­nen. Die FEM kann phy­si­schen Stress ver­ur­sa­chen, zur Abnahme der Mobi­li­tät und zu einer Ver­schlech­te­rung des All­ge­mein­zu­stan­des an sich füh­ren. Daher soll­ten stets mög­li­che Alter­na­ti­ven zu FEM geprüft werden.

Beispiel: Sturzvermeidung

Oft wer­den FEM mit der Ver­hin­de­rung von Stür­zen begrün­det. Lei­der füh­ren oft aber gerade die FEM zu neuen Stür­zen. Sucht sich der Betrof­fene andere Aus­gänge, weil die Türen ver­sperrt sind, kann es zu Stür­zen aus den unge­eig­ne­ten Aus­gän­gen kom­men. Auch im Nach­gang zu der FEM kann das Sturz­ri­siko erhöht sein. Bewegt sich der Kli­ent weni­ger, so neh­men seine moto­ri­schen Fähig­kei­ten ab, zudem kann ihm mit der Frei­heits­ent­zie­hung sug­ge­riert wer­den, dass es gefähr­lich ist sich zu bewe­gen. Dadurch wird der Gang noch unsi­che­rer und das Sturz­ri­siko nimmt zu. Der Exper­ten­stan­dard Sturz stellt auch aus­drück­lich fest, dass FEM kei­nes­falls zur Sturz­pro­phy­laxe geeig­net sind.

Mög­li­che Alternativen:
  • Hoch­zie­hens des Bett­git­ters nur auf einer Seite, Erhö­hung auf der ande­ren Bett­seite durch „Pool­nu­del“
  • Legen einer Sport­matte vor dem Bett oder Anschaf­fung eines Niederflurbettes
  • Besei­ti­gung von Stol­per­fal­len in der Wohnung
  • Fes­tes Schuh­werk und ange­mes­sene, gut­sit­zende Kleidung
  • Durch­füh­rung von Kraft- und Balance­trai­ning zur Stär­kung des Gangbildes
  • Vor­han­den­sein von genü­gend Sitz- und Hal­te­mög­lich­kei­ten und nöti­ger Hilfs­mit­tel (Rol­la­tor, Roll­stuhl usw.)
  • Über­prü­fung der Medi­ka­mente und ggf. Anpas­sung in Abspra­che mit dem ver­ord­nen­den Arzt
  • Anpas­sung des Inkontinenzmaterials
  • Durch­füh­rung von basa­ler Stimulation
  • Anbrin­gen von Lam­pen mit Bewe­gungs­mel­dern und Nachtlichtern


Bereits seit dem 01.07.2023 ist das Pfle­ge­un­ter­stüt­zungs- und ‑ent­las­tungs­ge­setz — oder kurz PUEG — in Kraft getre­ten. Man­che Maß­nah­men dar­aus sind sofort umzu­set­zen, wäh­rend bei ande­ren die Vor­ga­ben erst zu einem spä­te­ren Zeit­punkt zu berück­sich­ti­gen sind. 

Wie der Name schon ver­rät, soll es den gesam­ten Pfle­ge­be­reich unter­stüt­zen und ent­las­ten. Dazu wur­den meh­rere über­ge­ord­nete Ziele herausgearbeitet:

Ziele:
  • Die häus­li­che Pflege soll gestärkt und pfle­ge­be­dürf­tige Men­schen und ihre Ange­hö­ri­gen sowie andere Pfle­ge­per­so­nen ent­las­tet werden
  • Die Arbeits­be­din­gun­gen für pro­fes­sio­nell Pfle­gende sol­len ver­bes­sert werden
  • Die Poten­tiale der Digi­ta­li­sie­rung für Pfle­ge­be­dürf­tige und Pfle­gende sol­len bes­ser nutz­bar gemacht werden
  • Die soziale Pfle­ge­ver­si­che­rung soll durch Mehr­ein­nah­men gestärkt werden

Das Gesetz sieht dabei meh­rere Maß­nah­men vor, um diese Ziele zu erreichen:

Maßnahmen:
  1. Pfle­ge­geld und Pfle­ge­sach­leis­tun­gen wer­den erhöht
  2. Geld- und Sach­leis­tun­gen wer­den an die Preis­ent­wick­lung ange­passt (Dyna­mi­sie­rung)
  3. Kurz­zeit- und Ver­hin­de­rungs­pflege wer­den zu einem Ent­las­tungs­bud­get zusammengelegt
  4. Das Pfle­ge­un­ter­stüt­zungs­held erhält einen neuen Nutzungsrahmen
  5. Die Eigen­an­teil-Zuschläge für die sta­tio­näre Pflege wer­den erhöht
  6. Das Begut­ach­tungs­ver­fah­ren zur Pfle­ge­be­dürf­tig­keit erhält Anpassungen
  7. Die Digi­ta­li­sie­rung in der Pflege wird wei­ter gefördert
  8. Die Bei­träge der Pfle­ge­ver­si­che­rung wer­den angepasst
  9. Pfle­ge­be­dürf­tige erhal­ten erwei­terte Auskunftsrechte

Erhöhung des Pflegegeldes ab 2024
Um die häus­li­che Pflege zu stär­ken, soll das Pfle­ge­geld ab dem 01.01.2024 um 5 Pro­zent erhöht wer­den.

Pfle­ge­grad                                                    Pfle­ge­geld aktu­ell                                           Pfle­ge­geld 2024

 

1                                                                             0,00 EUR                                                                 0,00 EUR

 

2                                                                            316,00 EUR                                                             331,80 EUR

 

3                                                                            545,00 EUR                                                             572,25 EUR

 

4                                                                            728,00 EUR                                                             764,40 EUR

 

5                                                                            901,00 EUR                                                             946,05 EUR 

In einem wei­te­ren Schritt soll das Pfle­ge­geld zum 01.01.2025 um wei­tere 4,5 Pro­zent stei­gen (siehe Dynamisierung). 
Erhöhung der Pflegesachleistungen ab 2024
Ebenso wie das Pfle­ge­geld stei­gen die Pfle­ge­sach­leis­tun­gen zum 01.01.2024 um 5 Prozent.

 

Pfle­ge­grad                               Pfle­ge­sach­leis­tun­gen aktu­ell                           Pfle­ge­sach­leis­tun­gen 2024

 

1                                                              0,00 EUR                                                                       0,00 EUR

 

2                                                              724,00 EUR                                                                  760,20 EUR

 

3                                                              1.363,00 EUR                                                               1.431,15 EUR

 

4                                                              1.693,00 EUR                                                               1.777,65 EUR

 

5                                                              2.095,00 EUR                                                              2.199,75 EUR

 

Und auch hier gilt, dass die Pfle­ge­sach­leis­tun­gen zum 01.01.2025 um wei­tere 4,5 Pro­zent stei­gen (siehe Dyna­mi­sie­rung).

Dynamisierung
Die Geld- und Sach­leis­tun­gen sol­len zukünf­tig regel­mä­ßig an die all­ge­mei­nen Preis­ent­wick­lun­gen ange­passt wer­den. Beim Pfle­ge­geld gibt es bereits einen ähn­li­chen Mecha­nis­mus, der jedoch zuletzt aus­ge­setzt wurde. Künf­tig soll für alle im Gesetz ent­hal­te­nen Geld- und Sach­leis­tun­gen — sowohl im häus­li­chen als auch im sta­tio­nä­ren Bereich — die Dyna­mi­sie­rung gelten.

Die erste Dyna­mi­sie­rung erfolgt zum 01.01.2025. Aller­dings ist noch kein Mecha­nis­mus fest­ge­legt, wie dies genau erfol­gen soll. Des­halb wer­den für 2025 die Geld- und Sach­leis­tun­gen pau­schal um 4,5 Pro­zent erhöht. Die Fest­le­gung des Mecha­nis­mus soll noch in die­ser Legis­la­tur­pe­ri­ode pas­sie­ren. Im Kern wird die Infla­ti­ons­rate einen gro­ßen Ein­fluss ausüben.

Die Leis­tun­gen wer­den dann alle drei Jahre über­ar­bei­tet, so dass die nächste Anpas­sung zum 01.01.2028 erfolgt.

Beach­ten Sie, dass sich der Stei­ge­rungs­wert für 2025 im Laufe des Gesetz­ge­bungs­ver­fah­rens ver­än­dert hat. Im ers­ten Refe­ren­ten­ent­wurf ist noch eine Stei­ge­rung von 5 Pro­zent genannt. Im fina­len Geset­zes­be­schluss ist aber zusätz­lich das Ent­las­tungs­bud­get auf­ge­nom­men wor­den. Um das finan­zie­ren zu kön­nen, wurde für 2025 die Dyna­mi­sie­rungs­rate auf 4,5 Pro­zent abgesenkt. 

Entlastungsbudget für Kurzzeit- und Verhinderungspflege
Wie soeben erwähnt, kam das Ent­las­tungs­bud­get, wel­ches im Koali­ti­ons­ver­trag ver­ein­bart ist, zunächst nicht im Refe­ren­ten­ent­wurf vor, wohl aber im ver­ab­schie­de­ten Gesetz.

Es sieht vor, dass die Bud­gets für Kurz­zeit- und Ver­hin­de­rungs­pflege zusam­men­ge­legt wer­den. Es wird zum 01.07.2025 ein­ge­führt. Das gemein­same Bud­get beträgt 3.539 EUR pro Jahr. 

Eine Aus­nahme gibt es für die Pflege von Kin­dern, Jugend­li­chen und jun­gen Erwach­se­nen mit Pfle­ge­grad 4 oder 5. Für diese soll das Ent­las­tungs­bud­get bereits ab dem 01.01.2024 und zwar in einer Höhe von 3.386 EUR zur Ver­fü­gung ste­hen. Ab dem 01.07.2025 gilt dann auch hier der Betrag von 3.539 EUR.

Dadurch, dass der Gesamt­be­trag fle­xi­bel zwi­schen Kurz­zeit- und Ver­hin­de­rungs­pflege kom­bi­niert wer­den kann, bedeu­tet dies für viele Betrof­fene eine Ver­ein­fa­chung und eine Erhö­hung der Leis­tun­gen in die­sem Bereich. Die bis­he­ri­gen Über­tra­gungs­re­ge­lun­gen ent­fal­len dann. Zur Ver­ein­heit­li­chung wird auch die Höchst­dauer der Ver­hin­de­rungs­pflege auf acht Wochen pro Kalen­der­jahr ange­ho­ben und damit der Kurz­zeit­pflege ange­gli­chen. Ebenso wurde das Erfor­der­nis der sechs­mo­na­ti­gen Vor­pfle­ge­zeit gestrichen. 

Pflegeunterstützungsgeld
Mit die­ser Maß­nahme sol­len ins­be­son­dere berufs­tä­tige Men­schen, die einen Ange­hö­ri­gen pfle­gen, mehr unter­stützt wer­den. Bis­lang konn­ten sich Ange­hö­rige für die Orga­ni­sa­tion eines aku­ten Pfle­ge­falls ein­ma­lig zehn Tage pro Pfle­ge­be­dürf­ti­gen von der Arbeit frei­stel­len lassen.

Ab dem 01.01.2024 soll der Anspruch auf Pfle­ge­un­ter­stüt­zungs­geld wie­der­keh­rend 10 Tage pro Kalen­der­jahr bestehen.

Eigenanteil-Zuschläge für stationär Pflegebedürftige
Bereits seit dem 01.01.2022 gibt es eine Staf­fe­lung der Eigen­an­teil-Zuschläge, die nach der Auf­ent­halts­dauer auf­ge­teilt sind. Je län­ger ein Bewoh­ner im Pfle­ge­heim wohnt, desto höher sind die Leis­tungs­zu­schläge auf den Eigen­an­teil bei den Pflegeaufwendungen.

Diese Zuschläge wer­den ab dem 01.01.2024 um fünf bis zehn Pro­zent erhöht.

Auf­ent­halt in sta­tio­nä­rer Pflege Aktu­ell Ab 01.01.2024
0 – 12 Monate 5% 15%
13 – 24 Monate 25% 30%
25 – 36 Monate 45% 50%
> 36 Monate 70% 75%

 

Diese Zuschläge bezie­hen sich aus­schließ­lich auf den Eigen­an­teil des Kos­ten­an­teils für die Pflege. Dies gilt nicht für die wei­te­ren Kos­ten wie Unter­kunft und Ver­pfle­gung oder Investitionskosten.

Begutachtungsverfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit
Hier­mit ist nicht gemeint, dass sich die Kri­te­rien zur Ein­stu­fung in die fünf Pfle­ge­grade ändern, son­dern das Begut­ach­tungs­ver­fah­ren soll kla­rer gere­gelt werden.
Dazu gehört, dass die Pfle­ge­kasse künf­tig zum Pfle­ge­be­scheid immer das Pfle­ge­gut­ach­ten mit bei­le­gen muss, wobei das Ergeb­nis der Begut­ach­tung trans­pa­rent dar­zu­stel­len ist und für den Pfle­ge­be­dürf­ti­gen ver­ständ­lich erläu­tert wer­den muss. Dies soll hel­fen, die getrof­fene Ent­schei­dung bes­ser nach­voll­zie­hen zu können.
Ebenso soll die Pfle­ge­kasse bereits mit dem Bescheid Hilfs- und Pfle­ge­hilfs­mit­tel anbie­ten, wenn dies im Gut­ach­ten emp­foh­len wird. Das­selbe gilt für gesund­heit­li­che Prä­ven­ti­ons- und Reha-Maßnahmen.

Die im Zusam­men­hang mit der Corona-Pan­de­mie ent­wi­ckelte Mög­lich­keit einer tele­fo­ni­schen Begut­ach­tung zur Ermitt­lung eines Pfle­ge­gra­des durch den Medi­zi­ni­schen Dienst oder einen ande­ren Gut­ach­ter soll dau­er­haft ermög­licht wer­den. Aller­dings nicht in allen Situa­tio­nen und nur, wenn der Ver­si­cherte damit ein­ver­stan­den ist. Hier lau­fen der­zeit noch Stu­dien. Vor der Umset­zung muss die Begut­ach­tungs­richt­li­nie noch ent­spre­chend geän­dert werden.

Wei­tere Rege­lun­gen die­nen der Klar­stel­lung, ohne beson­dere spür­bare Aus­wir­kun­gen auf die pfle­ge­be­dürf­ti­gen Menschen. 

Beiträge zur Pflegeversicherung
Um einen Beschluss des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts vom 07. April 2022 umzu­set­zen, wird künf­tig beim Bei­trag zur sozia­len Pfle­ge­ver­si­che­rung neben dem Kin­der­lo­sen­zu­schlag auch nach der Kin­der­zahl differenziert.

Eine Erhö­hung der Bei­träge soll die ent­ste­hen­den Mehr­kos­ten der sozia­len Pfle­ge­ver­si­che­rung absi­chern. Dazu wurde bereits ab dem 01.07.2023 der Bei­trags­satz um 0,35 Pro­zent — von bis­her 3,05 Pro­zent — auf 3,4 Pro­zent ange­ho­ben. Der Kin­der­lo­sen­zu­schlag erhöht sich in die­sem Zuge von 0,35 Pro­zent auf 0,6 Pro­zent. Wei­ter­hin erhal­ten Bei­trags­pflich­tige vom zwei­ten bis fünf­ten Kind einen Abschlag von 0,25 Pro­zent­punk­ten pro Kind. Aller­dings gel­ten diese Abschläge nur bis zu dem Monat, in dem das jewei­lige Kind 25 Jahre alt wird. Wenn alle Kin­der über 25 Jahre alt sind, bleibt es beim Basis­satz von der­zeit 3,4%. Der Arbeit­ge­ber­an­teil ändert sich nicht, die­ser liegt für die neuen Bei­träge kon­stant bei 1,7%. Fol­gende Tabelle soll die Zah­len noch ein­mal verdeutlichen:

Anzahl Kin­der AG-Anteil AN-Anteil Bei­trags­satz
0 Kin­der 1,7% 2,3% 4%
1 Kind (Basis­satz) 1,7% 1,7% 3,4%
2 Kin­der 1,7% 1,45% 3,15%
3 Kin­der 1,7% 1,2% 2,9%
4 Kin­der 1,7% 0,95% 2,65%
> 4 Kinder 1,7% 0,7% 2,4%


Hin­weis: Im Bun­des­land Sach­sen gel­ten andere Arbeit­ge­ber- und Arbeitnehmeranteile. 

Digitalisierung
Die Chan­cen der Digi­ta­li­sie­rung in der Pflege sol­len wei­ter aus­ge­schöpft wer­den. Kon­kret sol­len die Akteure im Gesund­heits­sys­tem wei­ter ver­netzt wer­den, um die Kom­mu­ni­ka­tion zu ver­bes­sern. Dabei wird die Digi­ta­li­sie­rung für immer mehr Teil­neh­mer zur Pflicht.

Um das Ziel zu errei­chen sind hier meh­rere Maß­nah­men geplant:

  • Ein Kom­pe­tenz­zen­trum Digi­ta­li­sie­rung und Pflege soll geschaf­fen wer­den, wel­ches Ver­bes­se­run­gen und Optio­nen erar­bei­tet und zur prak­ti­schen Umset­zung anleitet.
  • Es sol­len wei­tere För­der­mit­tel für tech­ni­sche und digi­tale Anschaf­fun­gen in Pfle­ge­ein­rich­tun­gen bereit­ge­stellt wer­den, wel­che das Pfle­ge­per­so­nal ent­las­ten sollen.
  • Die Anbin­dung an die Tele­ma­tik­in­fra­struk­tur wird für die ambu­lan­ten und sta­tio­nä­ren Ein­rich­tun­gen zur Pflicht.

Auskunftsrecht zu Pflegeleistungen (Informations- und Transparenzregelungen)
Bereits heute ist gere­gelt, dass Pfle­ge­be­dürf­tige bei ihren Kas­sen Aus­kunft ver­lan­gen kön­nen, über die in einem Zeit­raum von 18 Mona­ten in Anspruch genom­me­nen Leis­tun­gen und deren Kosten.

Ab dem 01.01.2024 kann eine sol­che Auf­stel­lung auto­ma­ti­siert jedes halbe Jahr ange­for­dert wer­den. Wei­ter­hin kön­nen sie Detail­in­for­ma­tio­nen ver­lan­gen, wel­che Leis­tungs­be­stand­teile die Leis­tungs­er­brin­ger bei der Pfle­ge­kasse zur Abrech­nung ein­ge­reicht haben und eine Durch­schrift der Abrechnungen. 

Bessere Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte
Das För­der­pro­gramm zur Ver­bes­se­rung der Ver­ein­bar­keit von Pflege, Fami­lie und Beruf wird über das Jahr 2024 hin­aus bis zum Jahr 2030 verlängert. 

Schon in gerin­gen Men­gen bewirkt Alko­hol eine Min­de­rung des Reak­ti­ons- und Kon­zen­tra­ti­ons­ver­mö­gens. Die Arbeits­fä­hig­keit ist dadurch schnell her­ab­ge­setzt, was mit erheb­li­chen Gefah­ren für die Gesund­heit und Sicher­heit der Per­son selbst, aber auch von Drit­ten ver­bun­den sein kann. Bei einem Ver­dacht auf eine Alko­ho­li­sie­rung eines Mit­ar­bei­ters ist daher zügi­ges und kom­pe­ten­tes Han­deln der Füh­rungs­kraft gefragt. Hier­für haben Sie sich bes­ten­falls schon im Vor­feld einen Plan für den Ernst­fall bereit­ge­legt. Die fol­gende Arbeits­hilfe unter­stützt Sie hierbei.

1.
Hinweise auf Alkoholisierung feststellen
Persönliche Inaugenscheinnahme

Hin­wei­sen von Mit­ar­bei­tern oder Drit­ten auf eine vor­lie­gende Alko­ho­li­sie­rung eines Arbeit­neh­mers soll­ten Sie unbe­dingt nach­ge­hen. Der reine Hin­weis von ande­ren Per­so­nen reicht jedoch für eine für eine abschlie­ßende Beur­tei­lung der Arbeits­fä­hig­keit nicht aus. Machen Sie sich als Füh­rungs­kraft stets selbst ein Bild von der aktu­el­len Situa­tion und prü­fen Sie die Anzei­chen für eine Alkoholisierung.

Anzeichen

Hin­weise auf eine vor­lie­gende Alko­ho­li­sie­rung kön­nen sein:

  • „Alko­hol­fahne“, sowie even­tu­elle Ver­su­che des Über­de­ckens des typi­schen Geruchs mit Mund­was­ser, Kau­gummi oder ähnlichem
  • ver­wa­schene, „lal­lende“ Sprechweise
  • schwan­ken­der, unsi­che­rer Gang
  • aggres­si­ves Ver­hal­ten oder andere Persönlichkeitsänderungen
  • man­gelnde Konzentration
  • zit­ternde Hände
  • auf­ge­dun­se­nes Gesicht
  • gerö­tete Gesichtsfarbe
  • gla­sige Augen

Zeugen

Zie­hen Sie nach Mög­lich­keit Zeu­gen hinzu. Diese bes­ten­falls aus dem Bereich der Füh­rungs­kräfte oder des Betriebs­ra­tes (falls vorhanden).

Dokumentation

Kom­men Sie zu dem Ergeb­nis, dass eine alko­hol­in­di­zierte Arbeits­un­fä­hig­keit vor­liegt, dann ist dies zu Beweis­zwe­cken zu doku­men­tie­ren (Auf­fäl­lig­kei­ten, Ort, Zeit, Zeugen).

2.
Freiwilligen Alkoholtest anbieten
Möglichkeit des Gegenbeweises

Ein Alko­hol­test ist für die Fest­stel­lung der Alko­ho­li­sie­rung nicht erfor­der­lich. Ihre Ein­schät­zung, dass der Arbeit­neh­mer wegen einer alko­hol­in­di­zier­ten Gefahr für sich selbst und andere nicht arbeits­fä­hig ist, gilt, bis das Gegen­teil bewie­sen wird.  Die­sen Beweis des Gegen­teils kann der Betrof­fene frei­wil­lig durch einem Alko­hol­test erbrin­gen.  Durch­zu­füh­ren ist der Test dann unmit­tel­bar nach dem Ver­dacht. Auf die Test­mög­lich­keit soll­ten Sie hin­wei­sen und die Gele­gen­heit schaf­fen, sich einem Test zu unter­zie­hen. Zu der Durch­füh­rung ver­pflich­ten kön­nen Sie den Betrof­fe­nen jedoch nicht.

Testarten

Mög­lich ist die direkte Durch­füh­rung eines Atem­al­ko­hol­tests im Unter­neh­men. Daher ist es natür­lich erfor­der­lich, dass Sie einen sol­chen Test „für den Not­fall“ vor­hal­ten. Tests kön­nen Sie dafür online oder in Apo­the­ken erwer­ben. Kei­nes­falls selbst durch­füh­ren dür­fen Sie jedoch einen Blut­test. Wenn der Mit­ar­bei­ter dies zur Beur­tei­lung der Alko­ho­li­sie­rung wünscht, so ist ein sol­cher Test von einem Arzt durchzuführen.

Zeugen

An die Ableh­nung des Tests an sich sind keine nega­ti­ven Fol­gen geknüpft, es kann jedoch ein wei­te­res Indiz für die Alko­ho­li­sie­rung sein. Sinn­voll ist somit auch, die Anbie­tung und Ableh­nung des Tests durch Zeu­gen beglei­ten zu lassen.

Testergebnis

Fällt der Test (Blut- oder Atem­test) posi­tiv aus, so sind Sie in Ihrer Beur­tei­lung der vor­lie­gen­den alko­hol­be­ding­ten Arbeits­un­fä­hig­keit wei­ter gestärkt. Ist der Test nega­tiv, belegt dies ledig­lich, dass der Mit­ar­bei­ter kei­nen Alko­hol getrun­ken hat. Bestehen die bemerk­ten Aus­fall­erschei­nun­gen wei­ter, kann das auch andere Gründe haben, bei­spiels­weise der Kon­sum von ande­ren Dro­gen. In die­sem Fall kann der Betref­fende auch arbeits­un­fä­hig ohne einen posi­ti­ven Alko­hol­test sein. Hier kann ein auf­ge­such­ter Arzt gege­be­nen­falls durch andere Unter­su­chun­gen fest­stel­len, ob die Arbeits­fä­hig­keit ein­ge­schränkt ist.

3.
Weiterarbeit verbieten
Fürsorgepflicht

Sie haben als Arbeit­ge­ber eine Für­sor­ge­pflicht (Grund­satz aus § 241 Abs. 2 BGB) für Ihre Beschäf­tig­ten. Im Rah­men des bestehen­den Arbeits­ver­hält­nis­ses sind Sie ver­pflich­tet, die für Sie Täti­gen vor Selbst- und Fremd­ge­fähr­dun­gen zu schüt­zen. Mit­ar­bei­ter dür­fen aus die­sem Grund nicht mit einer Tätig­keit betraut wer­den, wenn erkenn­bar ist, dass die Betrof­fe­nen nicht in der Lage sind, die Arbeit ohne Gefahr für sich und andere auszuführen.

Gefahr des Arbeitnehmers für sich selbst und andere

Ein­zu­grei­fen und den Arbeit­neh­mer von der wei­te­ren Erbrin­gung der Arbeits­leis­tung abzu­hal­ten ist wegen der Für­sor­ge­pflicht dann, wenn nach der all­ge­mei­nen Lebens­er­fah­rung und dem „Beweis des ers­ten Anscheins“ damit zu rech­nen ist, dass der Betref­fende seine Arbeit nicht ohne Gefahr für sich und andere wei­ter durch­füh­ren kann. Je nach Gefah­ren­ge­neigt­heit der indi­vi­du­el­len Tätig­keit kann dabei auch ein gerin­ger Ver­dacht schon aus­rei­chend sein. So wird bei­spiels­weise nach der all­ge­mei­nen Lebens­er­fah­rung eher damit zu rech­nen sein, dass der Arbeit­neh­mer eine Gefahr für sich und andere dar­stellt, wenn er mit einem PKW zu den Pati­en­ten fährt und dort Tätig­kei­ten der häus­li­chen Kran­ken­pflege vor­nimmt, als bei einem Arbeit­neh­mer, der im Büro des Diens­tes tätig ist und nicht „auf Tour fährt“. Kom­men Sie nach dem „Beweis ers­ten Anscheins“ zu der Ein­schät­zung, dass der Betref­fende sich selbst und/ oder andere gefähr­det, dann müs­sen Sie ihm zwin­gend die Wei­ter­ar­beit verbieten. 

Weiteres unmittelbares Vorgehen 

Die Für­sor­ge­pflicht gilt, bis der Arbeit­neh­mer sicher wie­der bei sich zu Hause ange­kom­men ist. Haben Sie also den Ver­dacht, dass der Heim­weg nicht sicher gemeis­tert wer­den kann, so ist hier von Ihnen vor­zu­sor­gen. Dies kön­nen Sie bei­spiels­weise dadurch gestal­ten, dass Sie den Betrof­fe­nen einen Platz im Unter­neh­men zuwei­sen, an dem er sich über­wacht aus­ru­hen und „aus­nüch­tern“ kann. Mög­lich ist auch, dass Sie den Mit­ar­bei­ter nach Hause sen­den. Wich­tig ist hier­bei sicher­zu­stel­len, dass der Ange­stellte nicht selbst mit einem KFZ nach Hause fährt. Sie kön­nen daher ein Taxi rufen, einen Ange­hö­ri­gen des Beschäf­tig­ten bit­ten, die­sen abzu­ho­len oder einen wei­te­ren Mit­ar­bei­ter abstel­len um ihn nach Hause zu fah­ren. Ist der Gesund­heits­zu­stand des Mit­ar­bei­ters beson­ders schlecht, dann ist auch die Ein­schal­tung des Not­arz­tes möglich.

4.
Einleitung des Stufenplans nach dem Geschehen
Fünf-Stufenplan

Im Anschluss an den Vor­fall ist zeit­nah mit dem (nicht mehr alko­ho­li­sier­ten) Mit­ar­bei­ter ein Gespräch zu füh­ren. Dies dient der Ein­lei­tung des Fünf-Stu­fen­plans. Die­ser beinhal­tet eine Reihe von auf­ein­an­der auf­bau­en­den Gesprä­chen, die das Ziel haben, das Arbeits- und Leis­tungs­ver­hal­ten zu kor­ri­gie­ren. Einer­seits erfolgt dies dadurch, dass dem Betrof­fe­nen ein Hil­fe­an­ge­bot gemacht wird, sofern er sein Ver­hal­ten nicht aus eige­ner Kraft ändern kann. Zudem wird in den Gesprä­chen zuneh­mend dienst­li­cher Druck auf­ge­baut, in des­sen Folge es zu arbeits­recht­li­chen Kon­se­quen­zen kom­men kann. Die Gesprä­che sind zu dokumentieren.

5.
Rechtsfolgen
Wegfall der Vergütung

Wenn die betrof­fen Per­son von der Erbrin­gung der Arbeits­leis­tung frei­ge­stellt wurde, so erhält sie für diese Zeit kei­nen Lohn, da die Arbeits­un­fä­hig­keit selbst ver­schul­det war.

Zahlung von Transportkosten 

Sind Trans­port­kos­ten ange­fal­len, um den Betref­fen­den sicher nach Hause zu gelei­ten, dann sind auch diese voll­stän­dig von dem Arbeit­neh­mer selbst zu zah­len. Dies impli­ziert auch die Kos­ten für nötige Begleitpersonen.

Abmahnung

Die schuld­haft her­bei­ge­führte alko­hol­be­dingte Arbeits­un­fä­hig­keit ist ein Ver­stoß gegen die arbeits­ver­trag­li­chen Pflich­ten. Dies ergibt sich ent­we­der direkt aus einem expli­zit ange­ord­ne­ten Alko­hol­ver­bot im Unter­neh­men oder, falls dies nicht aus­drück­lich ver­ein­bart wurde, durch eine Neben­pflicht­ver­let­zung. Als Neben­pflicht aus dem Arbeits­ver­trag besteht eine Treue­pflicht aus § 611 BGB, die über­tra­ge­nen Arbei­ten ord­nungs­ge­mäß und kor­rekt aus­zu­füh­ren. Die arbeits­ver­trag­lich zuge­si­cher­ten Tätig­kei­ten müs­sen daher erfüllt wer­den kön­nen, was bei einer alko­hol­be­ding­ten Arbeits­un­fä­hig­keit nicht der Fall ist. Wegen die­ser Pflicht­ver­let­zung ist somit eine Abmah­nung mög­lich. Ob diese bei einem erst­ma­li­gen Ver­stoß ange­mes­sen ist oder Sie es bei einer münd­li­chen Ermah­nung belas­sen, steht in Ihrem Ermes­sen. Ent­schei­den Sie sich in dem indi­vi­du­el­len Fall für den Aus­spruch einer Abmah­nung, so fin­den Sie hier­für ein Mus­ter als Anlage anbei, was Sie gern als Grund­lage für Ihr indi­vi­du­el­les Abmah­nungs­schrei­ben ver­wen­den können.

Kündigung

Eine ver­hal­tens­be­dingte Kün­di­gung kommt ins­be­son­dere dann in Betracht, wenn Sie den Mit­ar­bei­ter schon mehr­mals erfolg­los wegen Trun­ken­heit abge­mahnt haben. Bei Unsi­cher­hei­ten bezüg­lich des Aus­spruchs einer sol­chen Kün­di­gung fra­gen Sie gern bei Ihrem ABVP-Län­der­re­fe­ren­ten nach.

6.
Sonderfall: Alkoholkrankheit beachten

Beson­der­hei­ten gibt es dann zu beach­ten, wenn der Arbeit­neh­mer Alko­hol­krank ist. Dies ist er dann, wenn er sein Trink­ver­hal­ten nicht mehr wil­lent­lich steu­ern kann. In die­sem Fall han­delt er krank­heits­be­dingt und nicht schuld­haft. Er ver­liert sei­nen Anspruch auf Ver­gü­tung nicht, da er nicht schuld­haft arbeits­un­fä­hig war.

Zudem han­delt es sich nicht um ein Ver­hal­ten, son­dern um einen in der Per­son lie­gen­den Grund, sodass hier eben­falls keine Abmah­nung aus­ge­spro­chen wer­den kann. Da die Krank­heit an sich kein steu­er­ba­res Ver­hal­ten ist, schei­det auch eine ver­hal­tens­be­dingte Kün­di­gung, wegen der Sucht­er­kran­kung, aus. Eine per­so­nen­be­dingte Kün­di­gung ist hin­ge­gen unter bestimm­ten Vor­aus­set­zun­gen mög­lich. Wird eine The­ra­pie abge­lehnt oder war diese mehr­fach erfolg­los, dann kann je nach Ein­zel­fall die Sucht­er­kran­kung eine krank­heits­be­dingte (per­so­nen­be­dingte) Kün­di­gung recht­fer­ti­gen. Vor­aus­set­zung hier­für ist eine erheb­li­che Beein­träch­ti­gung der betrieb­li­chen Inter­es­sen, das Vor­lie­gen einer nega­ti­ven Pro­gnose und eine Inter­es­sen­ab­wä­gung zwi­schen den Arbeit­ge­ber- und Arbeit­neh­mer­inter­es­sen, wel­che zum Nach­teil des Arbeit­neh­mers aus­ge­gan­gen ist.


Im Zusam­men­hang mit einer Kün­di­gung kommt es immer wie­der vor, dass Arbeit­neh­mer nach Erhalt einer Kün­di­gung ent­we­der durch den Arbeit­ge­ber oder auch nach einer Eigen­kün­di­gung im unmit­tel­ba­ren Anschluss eine Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gung bzw. ggf. wei­tere Fol­ge­be­schei­ni­gun­gen vor­le­gen, die dann den kom­plet­ten Zeit­raum der Kün­di­gungs­frist abde­cken. Der Arbeit­ge­ber muss auf Grund des Ent­gelt­fort­zah­lungs­ge­set­zes in die­sen Fäl­len den Arbeits­lohn fortzahlen. 

Hier stel­len sich Arbeit­ge­ber häu­fig die Frage, ob die Ent­gelt­fort­zah­lung auch erfol­gen muss, wenn der Arbeit­neh­mer zwar eine ärzt­li­che Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gung vor­legt, der Arbeit­ge­ber auf­grund der Begleit­um­stände aber berech­tigte Zwei­fel an der Arbeits­un­fä­hig­keit des Arbeit­neh­mers hat.

Bestehen in die­sem Fall sei­tens des Arbeit­ge­bers auf­grund der Begleit­um­stände berech­tigte Zwei­fel an der Arbeits­unfähigkeit des Arbeit­neh­mers, so muss der Arbeit­ge­ber Tat­sa­chen vor­tra­gen, die geeig­net sind, ernst­hafte Zwei­fel an der beschei­nig­ten Arbeitsun­fähigkeit zu begrün­den und damit den Beweis­wert zu erschüt­tern, denn die von einem Arzt aus­ge­stellte Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gung stellt erst ein­mal einen Anscheins­be­weis dar, der für das Vor­lie­gen einer Erkran­kung spricht.

Neben der Rück­da­tie­rung des Beginns der Arbeits­un­fä­hig­keit kön­nen auch Begleit­um­stände wie etwa die Ankün­di­gung einer Erkran­kung durch den Arbeit­neh­mer oder die Vor­lage einer Arbeitsunfähig­keitsbe­schei­ni­gung für den Zeit­raum eines nicht geneh­mig­ten Urlaubs den Beweis­wert der Arbeitsunfähigkeitsbeschei­nigung erschüttern.

Gelingt es dem Arbeit­ge­ber den Beweis­wert zu erschüt­tern, so muss der Arbeit­neh­mer erneut den Beweis für seine Arbeits­un­fä­hig­keit erbrin­gen, wenn er den Anspruch auf Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall gel­tend macht. Der Arbeit­neh­mer muss dann auf andere Weise erklä­ren und bewei­sen, dass er tat­säch­lich arbeits­unfähig erkrankt war. So kann er zum Bei­spiel sei­nen Arzt als Zeu­gen benen­nen, indem er ihn von der ärzt­li­chen Schwei­ge­pflicht entbindet.

Für den Fall der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gung unmit­tel­bar nach einer Arbeit­neh­mer­kün­di­gung hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in einem Urteil (Az. 5 AZR 149/21) aus­ge­führt, dass der Beweis­wert einer Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gung erschüt­tert wer­den kann, wenn ein Arbeit­neh­mer am Tag sei­ner eige­nen Kün­di­gung krank­ge­schrie­ben wird und die beschei­nigte Arbeits­un­fä­hig­keit pass­ge­nau die Dauer der Kün­di­gungs­frist umfasst.

In dem Aus­gangs­sach­ver­halt hatte die auf Ent­gelt­fort­zah­lung kla­gende Arbeit­neh­me­rin gekün­digt und der beklag­ten Arbeit­ge­be­rin eine auf den Tag der Kün­di­gung datierte Arbeitsunfähigkeits­be­scheinigung vor­ge­legt, wonach die vor­aus­sicht­li­che Dauer der Arbeits­un­fä­hig­keit „pass­ge­nau“ der Rest­lauf­zeit des Arbeitsver­hältnisses ent­sprach. Der Arbeit­ge­ber wei­gerte sich dar­auf­hin Ent­gelt­fort­zah­lung zu leis­ten. Das BAG gab ihm Recht. Denn der zeit­li­che Gleich­lauf sowohl zwi­schen Zugang der Kün­di­gung und der Arbeitsunfähigkeits­beschei­ni­gung als auch der Rest­lauf­zeit des Arbeits­ver­hält­nis­ses und dem vor­aus­sicht­li­chen Ende der Arbeits­unfähig­keit ist nach Auf­fas­sung des BAG durch­aus geeig­net, den Beweis­wert zu erschüttern.

Die Erschüt­te­rung des Beweis­wer­tes der Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gung führt aber nicht auto­ma­tisch dazu, dass der Arbeit­neh­mer in die­sem Fall kei­nen Anspruch mehr gegen den Arbeit­ge­ber mehr hat, son­dern der Arbeit­neh­mer ist in die­sem Fall ver­pflich­tet, sei­ner­seits das Vor­lie­gen einer Arbeits­un­fä­hig­keit erneut nach­zu­wei­sen, zum Bei­spiel durch wei­te­ren Tat­sa­chen­vor­trag zur Erkran­kung oder durch Benen­nung des behan­deln­den Arz­tes als Zeu­gen sowie des­sen Ent­bin­dung von der ärzt­li­chen Schwei­ge­pflicht. Die­ser Dar­le­gungs- und Beweis­last war die kla­gende Arbeit­neh­me­rin im Pro­zess jedoch nicht nach­ge­kom­men, so dass die Klage auf­grund des­sen abzu­wei­sen war.

Die vor­ste­hen­den Aus­füh­run­gen las­sen sich ent­spre­chend auch auf den Fall der Arbeit­ge­ber­kün­di­gung und einer sich daran unmit­tel­bar anschlie­ßen­den Vor­lage einer Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gung übertragen.

So hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Nie­der­sach­sen (LAG) in einem jüngst ergan­ge­nen Urteil (Az. 8 Sa 859/22) in sei­nem Leit­satz aus­ge­führt, dass der Beweis­wert einer Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gung grund­sätz­lich auch dadurch erschüt­tert wer­den kann, dass der Arbeit­neh­mer sich im Falle des Erhalts einer arbeit­ge­ber­sei­ti­gen Kün­di­gung unmit­tel­bar zeit­lich nach­fol­gend krank­mel­det und dann eine oder auch meh­rere Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gun­gen ein­reicht und diese lücken­los den gesam­ten Zeit­raum  der Kün­di­gungs­frist abde­cken. Aller­dings gilt dies nach Ent­schei­dung des LAG nicht, wenn der Arbeit­neh­mer sich erst beim Arbeit­ge­ber krank­mel­det und eine Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gung vor­legt und er erst danach die arbeit­ge­ber­sei­tige Kün­di­gung erhält, denn hier fehlt es am not­wen­di­gen Kausalzusammenhang.


Wie ist die Ausgangslage?

Bereits der Koali­ti­ons­ver­trag sieht Maß­nah­men zur Ver­bes­se­rung der Pflege vor. Die häus­li­che Pflege soll gestärkt und pfle­ge­be­dürf­tige Men­schen und ihre Ange­hö­ri­gen, sowie andere Pfle­ge­per­so­nen sol­len ent­las­tet wer­den. Geplant ist zudem, die Arbeits­be­din­gun­gen für pro­fes­sio­nell Pfle­gende zu ver­bes­sern und die Poten­tiale der Digi­ta­li­sie­rung bes­ser nutz­bar zu machen.

Dem Gesetz­ge­ber ist auch durch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (Beschluss vom 7.April 2022, Akten­zei­chen 1 BvL 3/18, 1 BvR 717/16, 1 BvR 2257/16 und 1 BvR 2824/17 auf­ge­tra­gen, bis spä­tes­tens zum 31. Juli 2023 das Bei­trags­recht der sozia­len Pfle­ge­ver­si­che­rung im Hin­blick auf die Berück­sich­ti­gung des Erzie­hungs­auf­wands von Eltern ver­fas­sungs­kon­form auszugestalten.

Welche Maßnahmen will der Gesetzgeber ergreifen?
  • Erhö­hung des Pfle­ge­gelds zum 1. Januar 2024 um 5%
  • Anhe­bung der ambu­lan­ten Sach­leis­tungs­be­träge zum 1. Januar 2024 um 5%
  • Mehr Fle­xi­bi­li­tät beim Pfle­ge­un­ter­stüt­zungs­geld ab dem 1. Januar 2024: statt nur ein­ma­lig ins­ge­samt zehn Arbeits­tage je pfle­ge­be­dürf­ti­ger Per­son nun bis zu zehn Arbeits­tage pro Kalenderjahr
  • Erhö­hung der Zuschläge (nach § 43c SGB XI) für Pfle­ge­be­dürf­tige in voll­sta­tio­nä­ren Pfle­ge­ein­rich­tun­gen: Anhe­bung der Sätze 
    • von 5% auf 15% bei 0 — 12 Mona­ten Verweildauer,
    • von 25% auf 30% bei 13 — 24 Monaten,
    • von 45% auf 50 % bei 25 — 36 Monaten
    • und von 70% auf 75% bei mehr als 36 Mona­ten zum 1. Januar 2023
  • Auto­ma­ti­sche Dyna­mi­sie­rung der Geld- und Sach­leis­tun­gen regel­haft in Anleh­nung an die Preis­ent­wick­lung zum 1. Januar 2025 und 1. Januar 2028
  • Struk­tur­än­de­rung im Ver­fah­ren zur Fest­stel­lung der Pfle­ge­be­dürf­tig­keit in § 18 SGB XI: Tren­nung von ver­fah­rens- und leis­tungs­recht­li­chen Inhal­ten zum Zwe­cke bes­se­rer Übersichtlichkeit

Welche Maßnahmen beziehen sich auf das Pflegepersonal?

Zur Ver­gü­tung des Per­so­nals hatte bereits das Gesetz zur Wei­ter­ent­wick­lung der Gesund­heits­ver­sor­gung (GVWG) mit den Rege­lun­gen zur Tarif­treue mas­sive Ver­än­de­run­gen gebracht.

Was sieht nun das PUEG für die­sen Aspekt vor?

  • Ein­rich­tung eines Kom­pe­tenz­zen­trums Digi­ta­li­sie­rung und Pflege zur Nut­zung des Poten­ti­als der Digi­ta­li­sie­rung zur Ver­bes­se­rung und Stär­kung der pfle­ge­ri­schen Versorgung
  • Aus­wei­tung und Ver­län­ge­rung bis Ende 2029 für das För­der­pro­gramm für digi­tale und tech­ni­sche Anschaf­fun­gen in Pfle­ge­ein­rich­tun­gen mit einem Volu­men von ins­ge­samt etwa 300 Mio. Euro
  • Beschleu­ni­gung der Umset­zung des Per­so­nal­be­mes­sungs­ver­fah­rens durch die Vor­gabe wei­te­rer Aus­bau­stu­fen in der sta­tio­nä­ren Pflege

Wie soll die finanzielle Lage stabilisiert werden?

Der all­ge­meine Bei­trags­satz der sozia­len Pfle­ge­ver­si­che­rung wird zum 1. Juli 2023 um 0,35 Pro­zent­punkte ange­ho­ben. Damit sol­len die bestehen­den Leis­tungs­an­sprü­che abge­si­chert wer­den können.

Dabei wer­den Mehr­ein­nah­men in Höhe von rund 6,6 Mrd. Euro/Jahr pro­gnos­ti­ziert. Um auf einen kurz­fris­ti­gen Finan­zie­rungs­be­darf reagie­ren zu kön­nen, soll die Bun­des­re­gie­rung ermäch­tigt wer­den, den Bei­trags­satz künf­tig durch Rechts­ver­ord­nung festzusetzen.

Was genau verlangt das Bundesverfassungsgericht?

Der 1. Juli 2023 ist auch der Zeit­punkt, zu dem der Bei­trags­satz zur Umset­zung des Beschlus­ses des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts vom 7. April 2022 nach der Kin­der­zahl dif­fe­ren­ziert wird. Eltern zah­len dann im Ver­gleich zu Kin­der­lo­sen gene­rell 0,6 Bei­trags­satz­punkte weni­ger. Bei kin­der­lo­sen Mit­glie­dern gilt ein Bei­trags­satz in Höhe von 4%. Bei Mit­glie­dern mit einem Kind gilt dem­ge­gen­über nur ein redu­zier­ter Bei­trags­satz von 3,4%. Ab zwei Kin­dern wird der Bei­trag wäh­rend der Erzie­hungs­phase bis zum 25. Lebens­jahr um 0,25 Bei­trags­satz­punkte je Kind abge­senkt. Diese Rege­lung kumu­liert sich bis ein­schließ­lich zum fünf­ten Kind, so dass Eltern mit fünf oder mehr Kin­dern nur einen redu­zier­ten Satz von 2,4% zah­len.  Damit wer­den Eltern von meh­re­ren Kin­dern in der Kin­der­er­zie­hungs­phase spür­bar ent­las­tet. Es gilt dann ab dem 25 Lebens­jahr der Kin­der wie­der der regu­läre Bei­trags­satz in Höhe von 3,4%.

Überblick über die Beitragssätze:
Mit­glie­der ohne Kinder = 4,00% (Arbeit­neh­mer-Anteil: 2,3%)
Mit­glie­der mit 1 Kind = 3,40% (lebens­lang) (Arbeit­neh­mer-Anteil: 1,7%)
Mit­glie­der mit 2 Kindern= 3,15% (Arbeit­neh­mer-Anteil: 1,45%)
Mit­glie­der mit 3 Kindern= 2,90% (Arbeit­neh­mer-Anteil: 1,2%)
Mit­glie­der mit 4 Kindern= 2,65% (Arbeit­neh­mer-Anteil 0,95%)
Mit­glie­der mit 5 und mehr Kindern = 2,40% (Arbeit­neh­mer-Anteil 0,7%)
Info
Der Arbeitgeberanteil beträgt immer 1,7%.
Welche Kritikpunkte werden im Bundestag geäußert?

Eine Erhö­hung des Pfle­ge­gel­des um fünf Pro­zent sei viel zu wenig, zumal hohe Infla­tion und Ener­gie­preise auch die Pfle­ge­kos­ten nach oben trei­ben würden.

Die ambu­lante Pflege käme zu kurz. Rund 80 Pro­zent der Pfle­ge­be­dürf­ti­gen wür­den von Ange­hö­ri­gen gepflegt, wofür mehr Unter­stüt­zung nötig wäre. Die Set­zung von Prio­ri­tä­ten stimme in dem Geset­zes­ent­wurf nicht. Auch Pfle­ge­be­dürf­tige im Heim und ihre Fami­lien wür­den schnell an ihr finan­zi­el­les Limit gera­ten. Die Zuschläge ab 2024 wären nicht mehr als ein Trop­fen auf den hei­ßen Stein.

Auch die Höhe des Betra­ges, den jeder Ein­zelne künf­tig mehr in die Pfle­ge­kasse ein­zah­len soll, wird kri­ti­siert. Bei sin­ken­den Real­löh­nen sei diese Belas­tung zu hoch.

Soll es immer höhere Bei­träge für die stei­gen­den Pfle­ge­kos­ten geben? Das wird nicht als Lösung betrach­tet, eben so wenig die For­de­rung nach einer Bür­ger­ver­si­che­rung oder die Ver­än­de­rung der Bei­trags­be­mes­sungs­grenze. Bun­des­tags­ab­ge­ord­nete ver­schie­de­ner Par­teien spra­chen sich dafür aus, künf­tig mehr Steu­er­mit­tel für die Pfle­ge­kasse aufzuwenden.

Die wei­te­ren Schritte bera­ten die Abge­ord­ne­ten als Nächs­tes im zustän­di­gen Ausschuss.

Wie ist der zeit­li­che Rah­men gesteckt?
Refe­ren­ten­ent­wurf: 24. Februar 2023
Fach­an­hö­rung: 9. März 2023
Ver­ab­schie­dung Kabi­netts­ent­wurf: 5. April 2023
1. Lesung Bun­des­tag: 20./21. April 2023
1. Durch­gang Bun­des­rat: 12. Mai 2023
Anhö­rung im Bun­des­tag: N.N.
2./3. Lesung Bun­des­tag: 25./26. Mai 2023
2. Durch­gang Bun­des­rat: 16. Juni 2023
Inkraft­tre­ten: 1. Juli 2023
Was kritisieren Verbände und Krankenkassen?

Sei­tens der Ver­bände wird geäu­ßert, dass die Reform die Lebens­wirk­lich­keit pfle­ge­be­dürf­ti­ger Men­schen nicht wider­spie­gele. Ins­be­son­dere die Men­schen in häus­li­cher Pflege und ihre Ange­hö­ri­gen würde man im Stich las­sen. Die Erhö­hun­gen von Pfle­ge­geld und ambu­lan­ten Sach­leis­tungs­be­trä­gen stün­den in kei­nem Ver­hält­nis zur Kos­ten­ex­plo­sion von 40 Pro­zent in den ver­gan­ge­nen fünf Jah­ren in der Altenpflege.

Die Ver­spre­chen des Koali­ti­ons­ver­tra­ges seien gebro­chen wor­den. Die Pfle­ge­geld­erhö­hung bleibt dahin­ter zurück. Die Erhö­hung um fünf Pro­zent rei­che nicht aus, um die Kos­ten­stei­ge­run­gen aus­zu­glei­chen. Das Ent­las­tungs­bud­get für pfle­gende Ange­hö­rige, das im Refe­ren­ten­ent­wurf noch ent­hal­ten war, aber nun in der Kabi­netts­fas­sung wie­der ent­fernt wurde, wäre ein guter Ansatz gewe­sen. Man hätte zusätz­li­che Steu­er­mit­tel zur Finan­zie­rung der Pflege vor­se­hen sollen.

Der Kabi­netts­ent­wurf sollte sich mit dem Thema Per­so­nal­pools oder ver­gleich­bare betrieb­li­che Aus­fall­kon­zepte zur Ver­mei­dung des Ein­sat­zes von Fremd­per­so­nal beschäf­ti­gen. Bei der Leih­ar­beit stoße man die Trä­ger vor den Kopf. Die Ver­ant­wor­tung und die Mehr­kos­ten für Leih­ar­beit sol­len aus­schließ­lich den Pfle­ge­ein­rich­tun­gen über­tra­gen wer­den. In der Regel wer­den diese heute schon nicht übernommen.

113a SGB XI soll gestri­chen wer­den. Die­ser Vor­schlag wird begrüßt, da auf der einen Seite dadurch keine völ­lige Abschaf­fung der Exper­ten­stan­dards erfol­gen wird. Sie sind wei­ter­hin im Qua­li­täts­ma­nage­ment zu berück­sich­ti­gen und wer­den vom Medi­zi­ni­schen Dienst geprüft. Auf der ande­ren Seite zeigt die Debatte um den Exper­ten­stan­dard zum Thema Erhal­tung und För­de­rung der Mobi­li­tät, der bis­her trotz mehr­fa­cher Über­prü­fung sowie Aktua­li­sie­rung nicht in die Regel­ver­sor­gung über­ge­ben wer­den konnte, dass ein rechts­ver­bind­li­cher Stan­dard nicht erreicht wurde. Daher hat sich die Form des §113a als unge­eig­net erwiesen.

Auch der Spit­zen­ver­band der Gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen kri­ti­sierte, dass der Gesetz­ent­wurf nicht weit genug ginge. Damit werde das Ver­trauen in den Staat und die Gesell­schaft ris­kiert, wenn die Pfle­ge­ver­si­che­rung nicht funk­tio­niert, zumal die Pfle­ge­ver­si­che­rung kost­spie­lige ver­si­che­rungs­fremde Aus­ga­ben über­nom­men habe.


Strei­tig­kei­ten im Bereich des Urlaubs­rech­tes sind lei­der oft ein Dau­er­bren­ner in Unter­neh­men. Umso wich­ti­ger, dass Sie in die­sem dyna­mi­schen Thema immer auf dem aktu­el­len Stand sind.  Da es in den letz­ten Jah­ren wie­der viele weg­wei­sende Ent­schei­dun­gen zum Thema Urlaub gab, fin­den Sie anbei einen Über­blick über die rele­van­tes­ten Entscheidungen.

1. Kein automatischer Verfall des Urlaubs ohne Hinweis des Arbeitgebers

Der Euro­päi­sche Gerichts­hofs (EuGH) hat in den letz­ten Jah­ren meh­rere wich­tige Ent­schei­dun­gen zum Urlaubs­recht getrof­fen. So hat er ins­be­son­dere die Frage betrach­tet, wann der Urlaubs­an­spruch verfällt.

Grund­satz im Bun­des­ur­laubs­ge­setz (BUrlG) ist, dass Erho­lungs­ur­laub grund­sätz­lich gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG im lau­fen­den Kalen­der­jahr gewährt und genom­men wer­den muss. Eine Über­tra­gung des Urlaubs in das fol­gende Kalen­der­jahr ist nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG nur aus­nahms­weise dann mög­lich, wenn drin­gende betrieb­li­che oder in der Per­son des Arbeit­neh­mers lie­gende Gründe dies recht­fer­ti­gen. Sol­che Gründe lie­gen vor allem vor, wenn ein erhöh­tes Arbeits­auf­kom­men die Anwe­sen­heit des Mit­ar­bei­ters im Betrieb erfor­dert oder der Arbeit­neh­mer die freien Tage auf­grund von Krank­heit oder mut­ter­schutz­recht­li­cher Beschäf­ti­gungs­ver­bote nicht neh­men konnte. Lie­gen sol­che Gründe für eine Über­tra­gung nicht vor, so ver­fällt der Urlaub eigent­lich zum 31.12. des ent­spre­chen­den Jah­res. Nach den Ent­schei­dun­gen des EuGH, Az.: C‑619/16 und C‑684/16 ist dies jedoch euro­pa­rechts­kon­form ein­schrän­kend aus­zu­le­gen. Vor­aus­set­zung für das Erlö­schen der Urlaubs­tage ist neben dem Zeit­ab­lauf zusätz­lich, dass der Betref­fende von sei­nem Arbeit­ge­ber tat­säch­lich in die Lage ver­setzt wurde, die frag­li­chen Urlaubs­tage recht­zei­tig vor deren Ver­fall zu neh­men. Für das Erlö­schen der Urlaubs­tage reicht es nicht aus, dass der Arbeit­neh­mer schlicht kei­nen Urlaubs­an­trag gestellt hat, viel­mehr muss er z. B. durch ange­mes­sene Auf­klä­rung auf den dro­hen­den Ver­fall hin­ge­wie­sen und tat­säch­lich in die Lage ver­setzt wur­den sein, die Tage zu neh­men. Ohne die Erfül­lung der Auf­for­de­rungs- und Hin­weis­ob­lie­gen­hei­ten ver­fällt der Urlaub nicht.

Dies gilt unmit­tel­bar aller­dings allein für den gesetz­li­chen Min­dest­ur­laub. Wird dar­über hin­aus über­ge­setz­li­cher Mehr­ur­laub vom Arbeit­ge­ber gewährt, so kön­nen für diese Urlaubs­tage abwei­chende Rege­lun­gen im Arbeits­ver­trag ver­ein­bart wer­den. Ohne aus­drück­li­che Rege­lun­gen für die­sen Urlaub­teil rich­tet sich aber der gesamte Urlaubs­an­spruch nach den gesetz­li­chen Rege­lun­gen des Bundesurlaubsgesetzes.

Info
Für Sie in der Praxis bedeutet das:
  • Machen Sie Ihre Mit­ar­bei­ter recht­zei­tig vor Ablauf des Kalen­der­jah­res auf noch vor­han­de­nen Rest­ur­laub aufmerksam.
  • For­dern Sie kon­kret und recht­zei­tig dazu auf, die rest­li­chen Urlaubs­tage in dem Kalen­der­jahr zu nehmen.
  • Wei­sen Sie aus­drück­lich und unmiss­ver­ständ­lich auf den dro­hen­den Ver­fall der Urlaubs­tage hin.
  • Für den über­ge­setz­li­chen Urlaub sind ander­wei­tige ver­trag­li­che Rege­lun­gen mög­lich, diese sind aber aus­drück­lich zu vereinbaren.

Da der Arbeit­ge­ber im Zwei­fel nach­zu­wei­sen hat, dass die Hin­weis- und Auf­klä­rungs­pflich­ten erfüllt sind, sollte die Kom­mu­ni­ka­tion mit dem Mit­ar­bei­ter aus Beweis­zwe­cken immer schrift­lich gesche­hen. Nimmt ein Arbeit­neh­mer den­noch kei­nen Urlaub, dann ver­fällt der Anspruch.  Ein Zwin­gen zum Neh­men von Urlaub oder die ein­sei­tige Fest­le­gung von Urlaub ist nicht erforderlich.

2. Verjährungsfrist von drei Jahren ohne Hinweispflicht bei Urlaubsabgeltung

Endet das Arbeits­ver­hält­nis, so wan­delt sich nach Been­di­gung des Arbeits­ver­hält­nis­ses noch bestehen­der Urlaubs­an­spruch in einen Abgel­tungs­an­spruch um. Die­ser Anspruch ver­jährt regel­mä­ßig in drei Jah­ren, begin­nend mit dem Ende des Jah­res, in dem das Arbeits­ver­hält­nis endete. Für die Ver­jäh­rung des finan­zi­el­len Abgel­tungs­an­spru­ches bedarf es aber kei­ner Mit­wir­kungs­ob­lie­gen­hei­ten des Arbeit­ge­bers. Grund dafür ist, so das BAG im Urteil vom 31. Januar 2023 – 9 AZR 456/20, dass der Arbeit­neh­mer in die­ser Kon­stel­la­tion nicht so schutz­be­dürf­tig sei wie ein Arbeit­neh­mer in einem bestehen­den Arbeits­ver­hält­nis, denn „die struk­tu­rell schwä­chere Stel­lung des Arbeit­neh­mers, aus der der EuGH die Schutz­be­dürf­tig­keit des Arbeit­neh­mers bei der Inan­spruch­nahme von Urlaub ablei­tet, endet mit der Been­di­gung des Arbeitsverhältnisses“.

3. Urlaubsverfall bei Langzeitkranken nicht automatisch nach 15 Monaten

Das BAG hat im Ein­klang mit den Ent­schei­dun­gen des EuGH am 20.12.2022 – 9 AZR 245/19 – ein Urteil zum Ver­fall von Urlaub aus gesund­heit­li­chen Grün­den gefällt. Hier­nach kön­nen die noch offe­nen Urlaubs­an­sprü­che von Arbeit­neh­mern auch noch rück­wir­kend gel­tend gemacht wer­den, wenn der Arbeit­ge­ber nicht auf den Rest­ur­laub hin­ge­wie­sen hat. Der Urlaub ver­fällt in Ein­klang mit der Ent­schei­dung — 22.09.2022 – Az. C‑120/21 des EuGH nach dem BAG auch nicht auto­ma­tisch nach drei Jahren.

In dem vor­lie­gen­den Fall hatte ein schwer­be­hin­der­ter Mensch geklagt, wel­cher bei einer Flug­ha­fen­ge­sell­schaft als Fracht­fah­rer beschäf­tigt war. Vom 1. Dezem­ber 2014 bis min­des­tens August 2019 konnte er wegen vol­ler Erwerbs­min­de­rung aus gesund­heit­li­chen Grün­den nicht arbei­ten und daher auch kei­nen Urlaub neh­men. Aus 2014 hatte der Klä­ger noch nicht genom­men Urlaubs­tage übrig. Der Klä­ger ver­trat die Auf­fas­sung, dass seine Urlaubs­tage aus 2014 noch nicht ver­fal­len wären, da die beklagte Flug­ha­fen­ge­sell­schaft ihren Oblie­gen­hei­ten, an der Gewäh­rung und Inan­spruch­nahme von Urlaub mit­zu­wir­ken, nicht nach­ge­kom­men sei. Die Beklagte argu­men­tierte dage­gen, dass der Urlaub aus gesund­heit­li­chen Grün­den nicht genom­men wer­den konnte und daher nach Ablauf von 15 Mona­ten nach Ende des Urlaubs­jah­res erlo­schen sei. Das Gericht gab dem Klä­ger recht. Wie oben unter Punkt 1. dar­ge­stellt, erlö­schen Ansprü­che auf gesetz­li­chen Erho­lungs­ur­laub nach richt­li­ni­en­kon­for­mer Aus­le­gung des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG nur dann am Ende des Kalen­der­jah­res (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) bzw. des zuläs­si­gen Über­tra­gungs­zeit­rau­mes (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG), wenn der Arbeit­ge­ber den Arbeit­neh­mer zuvor durch Erfül­lung von Auf­for­de­rungs- und Hin­weis­ob­lie­gen­hei­ten in die Lage ver­setzt hat, sei­nen Urlaubs­an­spruch wahr­zu­neh­men und der Arbeit­neh­mer den Urlaub den­noch aus freien Stü­cken nicht genom­men hat. Diese Hin­weis­pflich­ten des Arbeit­ge­bers gel­ten nicht nur für Urlaubs­an­sprü­che im lau­fen­den Kalen­der­jahr, son­dern auch für noch bestehende Urlaubs­tage aus Vorjahren.

Hierzu kam in die­sem Fall die Beson­der­heit, dass der Klä­ger sei­nen Urlaub aus gesund­heit­li­chen Grün­den nicht neh­men konnte. Bis­her galt für diese Kon­stel­la­tion, dass der Urlaubs­an­spruch 15 Monate nach Ende des betref­fen­den Urlaubs­jah­res ver­jährt, ohne dass es hier­für noch wei­tere Hand­lun­gen des Arbeit­ge­bers bedurfte.  Denn bei lang andau­ern­den Erkran­kun­gen sollte der Arbeit­ge­ber davor geschützt wer­den, dass sich zu lange Abwe­sen­heits­zei­ten ansam­meln und arbeits­or­ga­ni­sa­to­ri­sche Schwie­rig­kei­ten auf­tre­ten. Des­halb hatte es der EuGH nicht bean­stan­det, wenn natio­na­les Recht die Ansamm­lung von Urlaubs­an­sprü­chen auf einen Über­tra­gungs­zeit­raum von 15 Mona­ten begrenzt (EuGH 22.11.2011, C‑214/10). Dies gelte jedoch nicht mehr unein­ge­schränkt. Voll­um­fäng­lich gilt die­ser Grund­satz künf­tig nun dann, wenn der Arbeit­neh­mer von Beginn des betref­fen­den Urlaubs­jah­res bis zum Ende der 15-Monats­frist durch­ge­hend aus gesund­heit­li­chen Grün­den daran gehin­dert war, sei­nen Urlaub zu neh­men. In die­sem Fall kommt es wei­ter nicht dar­auf an, ob ein Hin­weis auf den dro­hen­den Ver­fall von Urlaubs­ta­gen erfolgte, denn ein Hin­weis des Arbeit­ge­bers könnte nicht dazu füh­ren, dass der Arbeit­neh­mer sei­nen Urlaub hätte neh­men kön­nen. Anders ist der Sach­ver­halt nun dann zu bewer­ten, wenn der Arbeit­neh­mer, wie im vor­lie­gen­den Fall, in dem Urlaubs­jahr tat­säch­lich gear­bei­tet hatte, bevor er arbeits­un­fä­hig gewor­den ist.  Dann, so das BAG, „setzt die Befris­tung des Urlaubs­an­spruchs regel­mä­ßig vor­aus, dass der Arbeit­ge­ber den Arbeit­neh­mer recht­zei­tig vor Ein­tritt der Arbeits­un­fä­hig­keit in die Lage zu ver­setzt hat, sei­nen Urlaub auch tat­säch­lich zu neh­men“. Da die Beklagte in dem zu ent­schei­den­den Fall ihren Mit­wir­kungs­ob­lie­gen­hei­ten im Bezug auch den noch nicht genom­men Urlaub in 2014 nicht nach­ge­kom­men war, ist die­ser Urlaub nicht verjährt.

4. Vererbbarkeit von Urlaubstagen

Nach einer wei­te­ren Ent­schei­dung des EuGH, Az.: C‑569/16 und C‑570/16 ist nun­mehr auch die Frage nach dem Erbe des Urlaubs­ab­gel­tungs­an­spru­ches geklärt. Rechts­vor­schrif­ten, wonach der Anspruch auf bezahl­ten Jah­res­ur­laub bei Tod des Arbeit­neh­mers ohne Abgel­tung für nicht genom­mene Urlaubs­tage unter­geht, steht Art. 7 der EU-Richt­li­nie 2003/88 ent­ge­gen. Das BAG hat dar­auf­hin im Urteil vom 22. 01. 2019, Az.: 9 AZR 45/16 die §§ 1, 7 Abs. 4 BUrlG dies­be­züg­lich uni­ons­rechts­kon­form aus­ge­legt. Der nicht genom­mene Urlaub werde Bestand­teil der Erb­masse, so das BAG. Die Erben eines ver­stor­be­nen Arbeit­neh­mers kön­nen dem­nach eine finan­zi­elle Ver­gü­tung für den nicht genom­me­nen Jah­res­ur­laub des Ver­stor­be­nen fordern.

5. Keine Teilung von ganzen Urlaubstagen

Arbeit­neh­mer haben gegen­über ihrem Arbeit­ge­ber kei­nen Rechts­an­spruch auf Gewäh­rung von hal­ben Urlaubs­ta­gen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt Baden-Würt­tem­berg führt hierzu bei­spiels­weise mit Urteil vom 06.03.2019 — AZ 4 Sa 73/18 aus, dass das Bun­des­ur­laubs­ge­setz kei­nen Anspruch auf halbe Urlaubs­tage kenne und der Urlaub zusam­men­hän­gend zu gewäh­ren sei. Eine „Ato­mi­sie­rung“ des Urlaubs­an­spruchs in viele Bruch­teile von Urlaubs­ta­gen sei nach § 7 Abs. 2 BUrlG unzu­läs­sig. Eine Aus­nahme zu die­sem Grund­satz greife nur dann, wenn drin­gende betrieb­li­che oder in der Per­son des Arbeit­neh­mers lie­gende Gründe eine Auf­tei­lung der Urlaubs­tage in Bruch­teile erfor­der­lich machen. Eine sol­che Aus­nahme lag nach dem Lag Baden-Würt­tem­berg in dem zu ent­schei­den­den Fall, in dem der Klä­ger die hal­ben Urlaubs­tage nutzte, um auf dem Wein­gut der Fami­lie aus­zu­hel­fen, nicht vor.

Der Urlaubs­an­spruch kann auch nicht stun­den­weise als Arbeits­zeit­ver­kür­zung genom­men wer­den. So hat das Land­ge­richt Köln mit Urteil vom 09.04.2019 — 4 Sa 242/ fest­ge­stellt, dass eine Urlaubs­ge­wäh­rung in Form einer wöchent­li­chen Arbeits­zeit­ver­kür­zung von 30 auf 27,5 Stun­den kei­nen Urlaub dar­stellt. Dies sei sonst ein Ver­stoß gegen das Bun­des­ur­laubs­ge­setz. In Form einer Arbeits­zeit­ver­kür­zung könne der Erho­lungs­zweck des Urlaubs nicht erfüllt wer­den. Dem Klä­ger stan­den daher grund­sätz­lich noch Urlaubs­tage zu.


Zum Hin­ter­grund: Das Land­ge­richt Kas­sel hatte sich im März 2022 mit dem Fall eines Her­aus­ga­be­an­spru­ches von Behand­lungs­un­ter­la­gen einer Kran­ken­kasse gegen ein Kran­ken­haus beschäf­tigt, bei dem der Ver­dacht eines Behand­lungs­feh­lers bestand. Die Klä­ge­rin (Kran­ken­kasse) ver­langte die Her­aus­gabe von allen Behand­lungs­un­ter­la­gen um selbst bzw. durch den Medi­zi­ni­schen Dienst prü­fen zu las­sen, ob ein Behand­lungs- oder Pfle­ge­feh­ler durch das beklagte Kran­ken­haus vor­lag. Das beklagte Kran­ken­haus wei­gerte sich die Unter­la­gen her­aus­zu­ge­ben unter ande­rem mit der Begrün­dung, dass eine Schwei­ge­pflicht- ent­bin­dungs­er­klä­rung durch die Erben des ver­stor­be­nen Ver­si­cher­ten nicht vor­lie­gen würde.

Das Land­ge­richt ent­schied am 2.3.2022 (Az. 2 O 560/21) zuguns­ten der Kran­ken­kasse. Letz­te­rer stand nach Auf­fas­sung des Land­ge­rich­tes ein Ein­sichts­recht in die Behand­lungs­un­ter­la­gen gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X in Ver­bin­dung mit §§ 401 Abs. 1 ana­log, 412 BGB zu.

Grund­sätz­lich haben die Pati­en­ten, gemäß § 630g Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Ein­sicht­nahme in die voll­stän­di­gen Pati­en­ten­un­ter­la­gen. Die­ser Ein­sichts­an­spruch ist gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X in Ver­bin­dung mit §§ 401 Abs. 1 ana­log, 412 BGB auf die Klä­ge­rin über­ge­gan­gen. Die Klä­ge­rin war zur Über­nahme der Kran­ken­kos­ten ver­pflich­tet. Im Hin­blick auf sol­che Kos­ten, die auf­grund einer feh­ler­haf­ten Behand­lung ent­stan­den sind, kann dem Ver­si­cher­ten ein Scha­dens­er­satz­an­spruch gegen die Beklagte zuste­hen, wel­cher gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf die Klä­ge­rin über­ge­hen würde. Ent­spre­chend steht der Klä­ge­rin zur Prü­fung der­ar­ti­ger Scha­dens­er­satz­an­sprü­che auch aus über­ge­gan­ge­nem Recht ein Anspruch auf Ein­sicht in die Kran­ken­un­ter­la­gen zu.

Die Beklagte kann sich hier auch nicht auf eine bestehende Ver­schwie­gen­heits­ver­pflich­tung berufen.

So ist es grund­sätz­lich zutref­fend, dass das beklagte Kran­ken­haus gegen­über dem ver­stor­be­nen Ver­si­cher­ten sowohl aus dem Behand­lungs­ver­trag, als auch unter Berück­sich­ti­gung von § 202 Abs. 4 StGB zur Ver­schwie­gen­heit ver­pflich­tet ist und daher grund­sätz­lich gehin­dert ist, die Behand­lungs­un­ter­la­gen ande­ren Per­so­nen (Drit­ten) zur Ver­fü­gung zu stel­len, wobei diese Ver­schwie­gen­heits­ver­pflich­tung grund­sätz­lich auch über den Tod des Betrof­fe­nen hin­aus gilt, wie sich dies aus § 203 Abs. 4 StGB ergibt. Dadurch wird gewähr­leis­tet, dass geheim­hal­tungs­be­dürf­tige Tat­sa­chen auch nach dem Ver­ster­ben der Betrof­fe­nen wei­ter geheim bleiben.

Jedoch hängt es nach dem Tode des Betrof­fe­nen vom mut­maß­li­chen Wil­len des Ver­stor­be­nen ab, ob und in wel­chem Umfang der Geheim­nis­trä­ger zum Schwei­gen ver­pflich­tet ist. Hat sich der Ver­stor­bene hier­über zu Leb­zei­ten geäu­ßert, ist grund­sätz­lich der geäu­ßerte Wille maß­geb­lich. Lässt sich dage­gen eine Wil­lens­äu­ße­rung nicht fest­stel­len, muss der mut­maß­li­che Wille des Ver­stor­be­nen erforscht wer­den. Dabei sind sämt­li­che Umstände des Ein­zel­falls zu berück­sich­ti­gen. Ins­be­son­dere ist der mut­maß­li­che Wille vor einer etwa ein­ge­hol­ten Ent­schei­dung der Erben vorrangig.

Dem steht auch nicht § 630g Abs. 3 BGB ent­ge­gen. Danach ste­hen im Falle des Todes des Pati­en­ten Ein­sichts­nah­me­rechte den Erben und den nächs­ten Ange­hö­ri­gen zu. Damit ist zum einen klar­ge­stellt, in wel­chen Fäl­len das Ein­sichts­nah­me­recht ver­erbt wird, zudem wird ein eige­nes Recht auf Ein­sicht­nahme den nächs­ten Ange­hö­ri­gen zuge­stan­den. Die Rechts­stel­lung der Berech­tig­ten wird damit ins­be­son­dere auch dadurch gestärkt, dass diese Ein­sichts­nah­me­rechte gel­tend machen kön­nen, ohne den mut­maß­li­chen Wil­len des Ver­stor­be­nen nach­wei­sen zu müs­sen und es viel­mehr, gerade auch in Zwei­fels­fäl­len, dem Behand­ler obliegt, einen ent­ge­gen­ste­hen­den mut­maß­li­chen Wil­len dar­zu­le­gen. Aller­dings kommt dabei auch nach der Rege­lung des § 630g Abs. 3 BGB dem mut­maß­li­chen Wil­len des Ver­stor­be­nen die ent­schei­dende Bedeu­tung zu. Dies geht aus § 630g Abs. 3 Satz 2 BGB expli­zit her­vor. Der Argu­men­ta­tion der Beklag­ten, der Kreis der­je­ni­gen, wel­che neben dem Pati­en­ten ein Recht auf Ein­sicht in die Behand­lungs­do­ku­men­ta­tion hät­ten, sei durch § 630g BGB abschlie­ßend gere­gelt, konnte sich das Gericht nicht anschlie­ßen. Hier­für bie­ten weder Wort­laut noch Sinn und Zweck der Vor­schrift Anhaltspunkte.

Daher kann die Klä­ge­rin grund­sätz­lich ein gem. § 116 SGB X auf sie über­ge­gan­ge­nes Recht auf Ein­sicht­nahme gel­tend machen, soweit dies dem mut­maß­li­chen Wil­len der Ver­stor­be­nen entspricht.

Die Ent­schei­dung dar­über, ob der ver­stor­bene Ver­si­cherte die Kran­ken­kasse mut­maß­lich von der Ver­pflich­tung zur Ver­schwie­gen­heit ent­bun­den hätte, obliegt dem jewei­li­gen Geheim­nis­trä­ger. Die­ser hat inso­weit einen Beur­tei­lungs­spiel­raum, der durch die Gerichte nur ein­ge­schränkt nach­prüf­bar ist. Der Geheim­nis­trä­ger ist daher zu einer gewis­sen­haf­ten Über­prü­fung ver­pflich­tet, ob Anhalts­punkte dafür bestehen, dass der ver­stor­bene Ver­si­cherte die ganz oder teil­weise Offen­le­gung sei­ner Behand­lungs­un­ter­la­gen gegen­über der mög­li­cher­weise zum Scha­dens­er­satz berech­tig­ten Kran­ken­kasse abge­lehnt hätte. Dabei genügt es jedoch nicht, dass sich das beklagte Kran­ken­haus nur grund­sätz­lich auf seine Pflicht zur Ver­schwie­gen­heit beruft. Es muss viel­mehr nach­voll­zieh­bar vor­ge­tra­gen wer­den, dass sich die Wei­ge­rung auf kon­krete oder mut­maß­li­che Belange der Ver­stor­be­nen und nicht auf sach­fremde Gesichts­punkte stützt. Sei­tens des beklag­ten Kran­ken­hau­ses wur­den aber keine Gesichts­punkte vor­ge­tra­gen, die für oder gegen den mut­maß­li­chen Wil­len der Ver­stor­be­nen spre­chen würden.

In Fäl­len wie dem vor­lie­gen­den, in dem die Ent­bin­dung von der Schwei­ge­pflicht der Kran­ken­kasse die Ver­fol­gung von Scha­dens­er­satz­an­sprü­chen wegen der Ver­let­zung von Behand­lungs­pflich­ten ermög­li­chen soll, wird regel­mä­ßig davon aus­zu­ge­hen sein, dass die Offen­le­gung der Unter­la­gen gegen­über der Kran­ken­kasse dem mut­maß­li­chen Wil­len des Ver­stor­be­nen entspricht.

Es ist daher davon aus­zu­ge­hen, dass der ver­stor­bene Ver­si­cherte grund­sätz­lich an der Auf­de­ckung von Behand­lungs­feh­lern inter­es­siert ist. Dar­über hin­aus ist auch davon aus­zu­ge­hen, dass der Ver­stor­bene kein Inter­esse daran hat, dass etwa­ige Scha­dens­er­satz­an­sprü­che ver­fal­len und die ent­spre­chen­den Schä­den von der Soli­dar­ge­mein­schaft des Kran­ken­ver­si­cher­ten getra­gen wer­den müs­sen. In die­sem Zusam­men­hang kann, auch nicht unbe­rück­sich­tigt blei­ben, dass die Kran­ken­kasse ohne­hin bereits über eine Viel­zahl von Infor­ma­tio­nen und Unter­la­gen in Bezug auf die ärzt­li­che Behand­lung des ver­stor­be­nen Ver­si­cher­ten ver­fügt, so dass das Geheim­hal­tungs­in­ter­esse im Ver­hält­nis zur Kran­ken­kasse grund­sätz­lich gerin­ger sein dürfte als gegen­über wei­te­ren Drit­ten. Daher ist davon aus­zu­ge­hen, dass der mut­maß­li­che Wille des Ver­stor­be­nen hier dahin­geht, dass die Kran­ken­kasse hier Ein­sicht in die Behand­lungs­un­ter­la­gen neh­men bzw. diese Her­aus­ver­la­gen kann.

Die vor­ste­hend genann­ten Aus­füh­run­gen dürf­ten auch im Bereich der ambu­lan­ten Pflege Anwen­dung fin­den, sofern Kran­ken­kas­sen hier Behand­lungs- oder Pfle­ge­feh­ler sei­tens eines Pfle­ge­diens­tes ver­mu­ten und dar­aus einen mög­li­chen Scha­dens­er­satz­an­spruch ablei­ten. Letz­te­res auch vor dem Hin­ter­grund, dass auf­grund der Schutz­be­dürf­tig­keit der Pati­en­ten und der ver­gleich­ba­ren Situa­tion eine ana­loge Anwen­dung der §§ 630 f, g und h BGB auf den Pfle­ge­ver­trag anzu­neh­men ist.


Bereits zum 01. Januar 2019 trat das Pfle­ge­per­so­nal-Stär­kungs­ge­setz (PpSG) in Kraft. Es war zunächst befris­tet bis Ende 2021, wurde jedoch bis zum 31.12.2023 ver­län­gert. Des­we­gen wol­len wir an die­ser Stelle daran erin­nern, mög­li­che För­der­mög­lich­kei­ten noch recht­zei­tig anzu­for­dern, sofern Sie dies nicht bereits getan haben.

Zunächst ein­mal, worum geht es im PpSG? 

Ziel ist es, den All­tag der Pfle­ge­kräfte zu ver­bes­sern. Das soll einer­seits durch eine bes­sere Per­so­nal­aus­stat­tung und ande­rer­seits durch eine Ver­bes­se­rung der Arbeits­be­din­gun­gen in der Kran­ken- und Alten­pflege erreicht wer­den. Das Gesetz baut auf drei Bau­stei­nen auf:

  • Zuschläge für zusätz­li­che Pflegestellen
  • Ver­ein­bar­keit von Pflege, Fami­lie und Beruf
  • Digi­ta­li­sie­rung

1.
Zuschläge für zusätzliche Pflegestellen

Da sich die Zuschläge für zusätz­li­che Pfle­ge­stel­len aus­schließ­lich auf voll­sta­tio­näre Pfle­ge­ein­rich­tun­gen bezieht, wol­len wir an die­ser Stelle nicht wei­ter dar­auf eingehen.

2.
Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf

Die För­de­rung ist zeit­lich auf sechs Jahre aus­ge­rich­tet und gilt für ambu­lante und sta­tio­näre Ein­rich­tun­gen. Fol­gende Maß­nah­men sind bei in der Pflege täti­gen Per­so­nen för­de­rungs­wür­dig: Ver­ein­ba­rung von Beruf und Fami­li­en­le­ben, ins­be­son­dere der Betreu­ung von Kin­dern und Pflege eige­ner Ange­hö­ri­ger. Ebenso sol­len Berufs­aus­stei­ger zurück­ge­won­nen wer­den. Jähr­lich wer­den dafür ins­ge­samt 100 Mio. Euro zur Ver­fü­gung gestellt. Nähe­res zu den Inhal­ten der För­de­rung sind in den Richt­li­nien des GKV-Spit­zen­ver­ban­des nach § 8 Abs. 7 SGB XI geregelt.

Wel­che Pro­jekte sind förderfähig?

  1. Indi­vi­du­elle und gemein­schaft­li­che Betreu­ungs­an­ge­bote, die auf die beson­de­ren Arbeits­zei­ten von Pflege- und Betreu­ungs­kräf­ten aus­ge­rich­tet sind,
  2. die Ent­wick­lung von Kon­zep­ten für mit­ar­bei­ter­ori­en­tierte und lebens­pha­sen­ge­rechte Arbeits­zeit­mo­delle und Maß­nah­men zu ihrer betrieb­li­chen Umsetzung,
  3. die Ent­wick­lung von Kon­zep­ten zur Rück­ge­win­nung von Pflege- und Betreu­ungs­per­so­nal und Maß­nah­men zu ihrer betrieb­li­chen Umset­zung und
  4. Schu­lun­gen und Wei­ter­bil­dun­gen zur Ver­bes­se­rung der Ver­ein­bar­keit von Pflege, Fami­lie und Beruf sowie zu den Zie­len, zu denen nach den Num­mern 2. und 3. Kon­zepte zu ent­wi­ckeln sind.

Sofern Pflege- und Betreu­ungs­kräfte, die von den Maß­nah­men pro­fi­tie­ren, in der Mehr­heit sind, kön­nen wei­tere Beschäf­tigte mit ein­ge­schlos­sen wer­den. Ebenso kön­nen sich meh­rere lokale Pfle­ge­ein­rich­tun­gen zur Durch­füh­rung der Maß­nah­men zu einem Ver­bund zusammenschließen.

Kein Anspruch auf För­de­rung besteht, wenn es sich um Pflich­ten han­delt, die bereits aus ande­ren Geset­zen und Bestim­mun­gen vor­ge­schrie­ben sind. Ebenso darf die För­de­rung nicht als Bestand­teil tarif­ver­trag­li­cher oder ver­gleich­ba­rer Rege­lun­gen dem Arbeits­ent­gelt zuzu­rech­nen sein. Wei­ter­hin gilt es nicht für Maß­nah­men, deren Kos­ten bereits voll­stän­dig in der Pfle­ge­ver­gü­tung berück­sich­tigt wer­den (zweite und dritte Abschnitt des ach­ten Kapi­tels SGB XI). Und die Kos­ten dür­fen nicht bereits durch andere För­der­mit­tel voll­um­fäng­lich finan­ziert werden.

Die För­de­rung erfolgt in Form eines Zuschus­ses bis zu 50%, der durch die Pfle­ge­ein­rich­tung ver­aus­gab­ten Mit­tel und ist pro Pfle­ge­ein­rich­tung auf 7.500 EUR pro Kalen­der­jahr begrenzt. Bei Maß­nah­men die im Rah­men des GAP-Pro­jekts („Gute Arbeits­be­din­gun­gen in der Pflege zur Ver­ein­bar­keit von Pflege, Fami­lie und Beruf“, Pro­jekt der Pfle­ge­be­voll­mäch­tig­ten) umge­setzt wer­den, gel­ten andere Kon­di­tio­nen: max. 35% und 5.250 EUR pro Kalenderjahr.

 

Es müs­sen dabei Eigen­mit­tel ein­ge­setzt wer­den. Und die För­der­mit­tel dür­fen nicht erschöpft sein. Ansons­ten kön­nen die För­der­mit­tel sowohl pro­spek­tiv (Kos­ten­vor­anschlag) oder retro­spek­tiv (Rech­nun­gen) schrift­lich bei den zustän­di­gen Pfle­ge­kas­sen (getrennt nach Bun­des­land) bean­tragt werden.

Pra­xis­bei­spiele für för­der­fä­hige Maß­nah­men (wich­tige Vor­aus­set­zung: der the­ma­ti­sche Schwer­punkt liegt bei der Ver­ein­bar­keit von Fami­lie, Pflege und Beruf):

  • Schulungen/Coaching/Workshops der Mitarbeiter
  • Bera­tungs­leis­tun­gen z.B. zum Thema Dienstsplangestaltung
  • (Kin­der-) Betreu­ungs­an­ge­bote für Zei­ten, die sich von den regio­nal übli­chen Ange­bo­ten unter­schei­den (z.B. Wochen­ende oder Feiertage)
  • Feri­en­frei­zei­ten für die Kin­der beruf­lich Pflegender
  • Kon­zept­ent­wick­lung zur Umset­zung von mit­ar­bei­ter­ori­en­tier­ten Arbeits­zeit­mo­del­len für die kon­krete Pflegeeinrichtung
  • Ent­wick­lung von Rück­ge­win­nungs­kon­zep­ten von Berufs­aus­stei­gern aus dem Pflege- und Betreuungsbereich
  • Ent­wick­lung von Wie­der­ein­ar­bei­tungs­kon­zep­ten von Berufs­aus­stei­gern aus dem Pflege- und Betreuungsbereich

Anträge sind an eine als Par­tei der Pfle­ge­satz­ver­ein­ba­rung betei­ligte Pfle­ge­kasse, deren Lan­des­ver­band oder den Ver­band der Ersatz­kas­sen e. V. in dem Bun­des­land zu rich­ten, in dem die Pfle­ge­ein­rich­tung zuge­las­sen ist. Das Antrags­for­mu­lar fin­den Sie hier auf der Seite des GKV-Spitzenverbandes.

3.
Digitalisierung

Die För­der­mög­lich­kei­ten gel­ten eben­falls für ambu­lante und sta­tio­näre Pfle­ge­dienste. In der Digi­ta­li­sie­rung wird ein erheb­li­ches Ent­las­tungs­po­ten­tial gese­hen. Die Anschaf­fung ent­spre­chen­der digi­ta­ler und tech­ni­scher Aus­rüs­tung kann mit einem ein­ma­li­gen Zuschuss geför­dert wer­den. Nähe­res zu den Inhal­ten der För­de­rung der Digi­ta­li­sie­rung sind in den Richt­li­nien des GKV-Spit­zen­ver­ban­des nach § 8 Abs. 8 SGB XI geregelt.

Neben der Anschaf­fung wer­den die ein­her­ge­hen­den Kos­ten der Inbe­trieb­nahme, Erwerb von Lizen­zen oder Ein­rich­tung von W‑LAN geför­dert. Die Ent­las­tung der Pfle­ge­kräfte muss dabei der Haupt­zweck der Anschaf­fung oder Maß­nahme sein.

Dies betrifft insbesondere:

  • Ent­bü­ro­kra­ti­sie­rung der Pflegedokumentation
  • Dienst- und Tourenplanung
  • Inter­nes Qualitätsmanagement
  • Zusam­men­ar­beit zwi­schen Ärz­ten und sta­tio­nä­ren Pfle­ge­ein­rich­tun­gen (inkl. Videosprechstunden)
  • Elek­tro­ni­sche Abrech­nung pfle­ge­ri­scher Leis­tun­gen nach § 105 SGB XI
  • Aus‑, Fort‑, Weit­bil­dung oder Schu­lung, die im Zusam­men­hang mit der Anschaf­fung von digi­ta­ler oder tech­ni­scher Aus­rüs­tung stehen

Bei der För­de­rung han­delt es sich um einen ein­ma­li­gen Zuschuss von bis zu 40%, höchs­tens jedoch 12.000 EUR. Wobei der Zuschuss auf meh­rere Anschaf­fun­gen oder Ausbildungen/ Schu­lun­gen gesplit­tet wer­den kann. Die digi­tale oder tech­ni­sche Aus­rüs­tung muss bis zum 31.12.2023 ange­schafft wor­den sein und Eigen­mit­tel dafür ein­ge­setzt wer­den. Auch hier ist das Antrags­ver­fah­ren pro­spek­tiv (Kos­ten­vor­anschlag) als auch retro­spek­tiv (Rech­nung) möglich.

Wie bei den För­der­maß­nah­men zur Ver­ein­bar­keit von Pflege, Fami­lie und Beruf sind die Anträge schrift­lich bei der zustän­di­gen Pfle­ge­kasse (getrennt nach Bun­des­land) zu stellen.

Bei Lea­sing­ver­trä­gen darf sich der För­der­be­trag aus­schließ­lich auf den Gesamt­be­trag bezie­hen, der sich aus den monat­li­chen Lea­sing­be­trä­gen bis maxi­mal zum 31.12.2023 ergibt. Kos­ten für den Betrieb (z.B. War­tung, Repa­ra­tur, Ser­vice, Zin­sen) sind nicht för­der­fä­hig und sind ggf. von der Gesamt­summe abzu­zie­hen. Ebenso sind auch bei Raten­zah­lun­gen die Kos­ten für den Betrieb nicht för­der­fä­hig und wären ggf. von der Gesamt­summe abzuziehen.

Gene­rell nicht geför­dert wer­den Schutz­pro­gramme oder Siche­rungs­sys­teme. Ebenso Anschaf­fun­gen, die Therapie‑, Unter­hal­tungs- oder Beschäf­ti­gungs­zwe­cken die­nen. Glei­ches gilt für Ortungs­un­ter­stüt­zungs­ge­räte (GPS-Tra­cker).

Pra­xis­bei­spiele für för­der­fä­hige Maß­nah­men (wich­tige Vor­aus­set­zung, sie die­nen der Ent­las­tung der Pflegkräfte):

  • Erwerb von Soft­ware (Betriebs­sys­teme, Pfle­ge­do­ku­men­ta­ti­ons­soft­ware, E‑Mailprogramme, Text­ver­ar­bei­tung, Tabellenkalkulation)
  • Erwerb von Hardware
  • Umstel­lung auf digi­tale Abrechnung
  • Ser­ver­um­stel­lun­gen zur Ver­bes­se­rung der Technik
  • Ein­rich­tung von IT-Arbeitsplätzen
  • Zeit­er­fas­sungs­sys­teme
  • Digi­ta­li­sie­rung der Essenverwaltung
  • Mobile Daten­er­fas­sung
  • Ein­rich­tung eines W‑LAN Netzes.

Anträge sind an eine als Par­tei der Pfle­ge­satz­ver­ein­ba­rung betei­ligte Pfle­ge­kasse, deren Lan­des­ver­band oder den Ver­band der Ersatz­kas­sen e. V. in dem Bun­des­land zu rich­ten, in dem die Pfle­ge­ein­rich­tung zuge­las­sen ist. Das Antrags­for­mu­lar fin­den Sie hier auf der Seite des GKV-Spitzenverbandes.